6 Erstes Kapitel: Bis zum Ersten Vereinigten Landtage.
Die Eigenschaft, der Sohn eines in Berlin accreditirten fremden
Gesandten zu sein, gab an sich einen Vorzug. Die an den
kleinen Höfen erwachsenen, in den preußischen Dienst über-
nommnen Diplomaten hatten nicht selten den Vortheil größrer
assurance in höfischen Kreisen und eines größern Mangels an
Blödigkeit vor den eingebornen. Ein Beispiel dieser Rich-
tung war namentlich Herr von Schleinitz. Dann finden sich
in der Liste Mitglieder standesherrlicher Häuser, bei denen die
Abstammung die Begabung ersetzte. Aus der Zeit, als ich
nach Frankfurt ernannt wurde, ist mir außer mir, dem Frei-
herrn Karl von Werther, Canitz und dem französisch verhei-
ratheten 1) Grafen Max Hatzfeldt kaum der Chef einer ansehn-
lichen Mission preußischer Abstammung erinnerlich. Auslän-
dische Namen standen höher im Kurse: Brassier, Perponcher,
Savigny, Oriola. Man setzte bei ihnen größre Geläufigkeit
im Französischen voraus, und sie waren „weiter her“, dazu
trat lbei den Diplomaten preußischer Abkunft]:) der Mangel
an Bereitwilligkeit zur Uebernahme eigner Verantwortlichkeit
bei fehlender Deckung durch zweifellose Instruction, ähnlich
wie im Militär 1806 bei der alten Schule aus Friedericia-
nischer Zeit. Wir züchteten schon damals das Offiziersmaterial
bis zum Regiments-Commandeur in einer Vollkommenheit wie
kein andrer Staat, aber darüber hinaus war das eingeborne
preußische Blut nicht mehr fruchtbar an Begabungen wie zur
Zeit Friedrich's des Großen selbst. Unfre erfolgreichsten Feld-
herrn, Blücher, Gneisenau, Moltke, Goeben, waren keine preußi-
schen Urproducte, ebensowenig im Civildienste Stein, Harden-
berg, Motz und Grolman. Es ist, als ob unfre Staatsmänner
wie die Bäume in den Baumschulen zu voller Wurzelbildung
der Versetzung bedürften.
1) Graf Maximilian v. Hatzfeldt war mit Gräfin Pauline de Castel-
lane vermählt.
2) Die in Klammer gesetzten Worte sind von dem Herausgeber ergänzt.