Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

284 Elftes Kapitel: Zwischenzustand. 
  
ich sei nur gekommen, um seine persönliche Zustimmung dazu 
zu erbitten, daß ich meinen Urlaub bis nach der im Herbst be- 
vorstehenden Krönung, also über die gegebenen drei Monate 
hinaus ausdehnen dürfe. Der König sagte das in freundlicher 
Weise zu und lud mich persönlich zur Tafel y. 
Nachdem ich den August und September in Reinfeld und 
Stolpmünde zugebracht hatte 2), traf ich am 13. October in 
Königsberg ein, wo am 18. die Krönung vor sich ging. 
Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung 
der Königin eine Veränderung vorgegangen wars, die vielleicht 
mit dem inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zusammen- 
hing. Sie ergriff die Initiative zur Besprechung national-deutscher 
Politik mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem 
Grafen Bernstorff als Minister, der zu einer bestimmten Ent- 
schließung über seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien 
und mir in unsern Gesprächen den Eindruck machte, als ringe 
er nach einer Meinung. Die Königin zeigte sich gegen mich 
freundlicher als seit langen Jahren, sie zeichnete mich in augen- 
fälliger Weise aus, offenbar über die im Augenblick von dem 
Könige gewünschte Linie hinaus. In einem Moment, der cere- 
moniell für Unterhaltung kaum Zeit bot, blieb sie vor mir, der 
ich in dem Haufen stand, stehn und begann mit mir ein Gespräch 
über deutsche Politik, dem der sie führende König, eine Zeit 
lang vergebens, ein Ende zu machen suchte. Das Verhalten 
beider Herrschaften bei dieser und andern Gelegenheiten bewies, 
daß damals eine Meinungsverschiedenheit über die Behandlung 
der deutschen Frage zwischen ihnen bestand; ich vermuthe, daß 
Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympathisch war. Der 
1) Aus der Zeit des Aufenthalts in Baden stammt die „Denkschrift 
über die deutsche Frage“, die ich nach dem Concept im Bismarck-Jahr- 
buch III 193 ff. herausgegeben habe. 
*:) Vgl. die Briefe Bismarck's aus Juli, August und September 
1861 in den Bismarckbriefen, 8. Aufl., S. 310 ff. und die Auszüge aus 
den Briefen der Frau v. Bismarck an v. Keudell S. 85 ff.
	        
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