286 Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
Sr. Majestät häuslichen Einflüssen gegenüber; ich erinnre mich,
daß ich in Eydtkuhnen den Schlagbaum der heimatlichen Grenze
nicht mit dem freudigen Gefühl passirte wie bis dahin bei jedem
ähnlichen Vorkommniß ). Ich war bedrückt von der Sorge,
schwierigen und verantwortlichen Geschäften entgegen zu gehn
und auf die angenehme und nicht nothwendig verantwortliche
Stellung eines einflußreichen Gesandten zu verzichten. Dabei
konnte ich mir keine sichre Berechnung machen von dem Gewicht
und der Richtung des Beistandes, den ich im Kampfe mit der
steigenden Fluth der Parlamentsherrschaft bei dem Könige und
seiner Gemalin, bei den Collegen und im Lande finden werde.
Meine Lage, in Berlin im Gasthofe wie einer der intrigirenden
Gesandten aus der Manteussel'schen Zeit im Lichte eines Be-
werbers vor Anker zu liegen, widerstrebte meinem Selbstgefühl.
Ich bat den Grafen Bernstorff, mir entweder ein Amt oder meine
Entlassung zu verschaffen. Er hatte die Hoffnung, bleiben zu
können, noch nicht aufgegeben, er beantragte und erhielt in
wenigen Stunden meine Ernennung nach Paris?.
Am 22. Mai 1862 ernannt, übergab ich am 1. Juni in
den Tuilerien mein Beglaubigungsschreiben. Von dem fol-
genden Tage ist nachstehender Brief an Roon?:
„Ich bin glücklich angekommen, wohne hier wie eine Ratte
in der leeren Scheune und bin von kühlem Regenwetter ein-
gesperrt. Gestern hatte ich feierliche Audienz, mit Auffahrt in
kaiserlichen Wagen, Ceremonie, aufmarschirten Würdenträgern.
Sonst kurz und erbaulich, ohne Politik, die auf un de ces jours
1) Bismarck verließ Petersburg am 8. Mai und traf am 10. Mai
in Berlin ein.
2) Vgl. zur Pariser Zeit Bismarck's Briefe an seine Braut und
Gattin S. 473 ff., ferner Bismarckbriefe, 8. Aufl., S. 339 ff., Briefe der
Frau v. Bismarck an v. Keudell, R. v. Keudell, Fürst und Fürstin
Bismarck S. 95 ff.
:) Bismarckbriefe (8. Aufl.) S. 337 f., Roon's Denkwürdigkeiten
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