Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Friedrich's II. Epigonen. Wer ist verantwortlich im Staate? 319 
sein Abtreten die Verantwortlichkeit für die Consequenzen des- 
selben, die vielleicht auf andern Gebieten viel tiefgreifender sind 
als auf dem grade streitigen. 
Er ist außerdem durch die collegiale Form des Staats- 
ministeriums mit ihren Mcgjoritätsabstimmungen zu Compro-= 
missen und zu Nachgiebigkeit seinen Collegen gegenüber nach 
der preußischen Ministerverfassung täglich genöthigt. Eine wirk- 
liche Verantwortlichkeit in der großen Politik aber kann nur 
ein einzelner leitender Minister, niemals ein anonymes Col- 
legium mit Majoritätsabstimmung leisten. Die Entscheidung 
über Wege und Abwege liegt oft in minimalen, aber einschnei- 
denden Wendungen, zuweilen schon in der Tonart und der 
Wahl der Ausdrücke eines internationalen Actenstückes. Schon 
bei geringer Abweichung von der richtigen Linie wächst die 
Entfernung von derselben oft so rapid, daß der verlassene 
Strang nicht wieder erreicht werden kann und die Umkehr bis 
zu dem Gabelpunkt, wo er verlassen wurde, unausführbar ist. 
Das übliche Amtsgeheimniß deckt die Umstände, unter denen 
eine Entgleisung stattgesunden hat, Menschenalter hindurch, 
und das Ergebniß der Unklarheit, in welcher der pragmatische 
Zusammenhang der Dinge bleibt, erzeugt bei leitenden Mini- 
stern, wie das bei manchen meiner Vorgänger der Fall war, 
Gleichgültigkeit gegen die sachliche Seite der Geschäfte, sobald 
die formale durch königliche Unterschrift oder parlamentarische 
Vota gedeckt erscheint. Bei Andern wieder führt der Kampf 
zwischen dem eignen Ehrgefühl und der Verstrickung der Com- 
petenzverhältnisse zu tödtlichen Nervenfiebern, wie bei dem 
Grafen Brandenburg ½, oder zu Symptomen von Geistesstörung, 
wie in einigen frühern Fällen. 
Es ist schwer zu sagen, wie die Verantwortlichkeit für unfre 
Politik während der Regirung Friedrich Wilhelm's IV. mit 
1) S. o. S. 76.
	        
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