338 Dreizehntes Kapitel: Dynastien und Stämme.
wickelt; die einzelnen Dynastien, Preußen nicht ausgenommen,
hatten an sich dem deutschen Volke gegenüber auf Zerstücklung
des letztern für ihren Privatbesitz, auf den souveränen Antheil
am Leibe des Volkes niemals ein höheres historisches Recht,
als unter den Hohenstaufen und unter Karl V. in ihrem Besitz
war. Die unbeschränkte Staatssouveränetät der Dynastien, der
Reichsritter, der Reichsstädte und Reichsdörfer war eine revo-
lutionäre Errungenschaft auf Kosten der Nation und ihrer Einheit.
Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Thatsache
gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen Altmärker
bei Salzwedel von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei
Lüchow, in Moor und Heide dem Auge unerkennbar, trennt,
doch den zu beiden Seiten plattdeutsch redenden Niedersachsen
an zwei verschiedne, einander unter Umständen feindliche völker-
rechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin, und
das andre früher von London, später von Hanover regirt wurde,
das eine Auge rechts nach Osten, das andre Auge links nach
Westen bereit stand, und daß friedliche und gleichartige, im
Conubium verkehrende Bauern dieser Gegend, der eine für
welfisch-habsburgische, der andre für hohenzollern'sche Interessen
auf einander schießen sollten. Daß dies überhaupt möglich war,
beweist die Tiese und Gewalt des Einflusses dynastischer Anhäng-
lichkeit auf den Deutschen. Daß die Dynastien jederzeit stärker
geblieben sind als Presse und Parlamente, hat sich durch die
Thatsache bestätigt, daß 1866 Bundesländer, deren Dynastien
im Bereich des östreichischen Einflusses lagen, ohne Rücksicht auf
nationale Bestrebungen mit Oestreich, und nur solche, welche
„unter den preußischen Kanonen“ lagen, mit Preußen gingen.
Von den letztern machten allerdings Hanover, Hessen und Nassau
Ausnahmen, weil sie Oestreich für stark genug hielten, um alle
Zumuthungen Preußens siegreich abweisen zu können. Sie haben
infolge dessen die Zeche bezahlt, da es nicht gelang, dem Könige
Wilhelm die Vorstellung annehmbar zu machen, daß Preußen