384 Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürstentag.
berg's eine irrige Ansicht gewonnen; man hatte sich gewöhnt,
uns für schwächer und namentlich für furchtsamer zu halten,
als wir zu sein brauchen, und das Gewicht fürstlicher Verwandt-
schaft und Liebe in Fragen internationaler Politik für die
Dauer zu hoch in Ansatz gebracht. Die ältern militärischen
Vermuthungen sprachen allerdings dafür, daß, wenn der sechs-
undsechziger Krieg schon 1850 geführt worden wäre, unfre Aus-
sichten bedenklich gewesen sein würden. Mit unfrer Schüchtern-
heit noch in den sechziger Jahren zu rechnen, war ein Irrthum,
bei welchem der Thronwechsel außer Ansatz geblieben war.
Friedrich Wilhelm IV. hätte sich zu Mobilmachungen wohl
ebenso leicht entschlossen wie 1850 und wie sein Nachfolger 1859,
aber schwer zur Kriegführung. Unter ihm lag die Gefahr vor,
daß ähnliche Tergiversationen wie unter Haugwitz 1805 uns
in falsche Lagen gebracht haben würden; auch nach wirklichem
Bruch würde man in Oestreich über unfre Unklarheiten und
Vermittlungsversuche mit Entschlossenheit zur Tagesordnung
übergegangen sein. Bei dem König Wilhelm war die Abnei-
gung, mit den väterlichen Traditionen und den herkömmlichen
Familienbeziehungen zu brechen, ebenso stark wie bei seinem
Bruder, aber wenn er einmal unter der Leitung seines Ehr-
gefühls, dessen Empfindlichkeit ebenso in dem preußischen Porte-
ée als im monarchischen Bewußtsein lag, zu Entschlüssen, die
seinem Herzen schwer wurden, sich gezwungen gefühlt hatte,
so war man sicher, wenn man ihm folgte, in keiner Gefahr
von ihm im Stiche gelassen zu werden. Mit diesem Wechsel
in dem Charakter der obersten Leitung wurde in Wien zu wenig
gerechnet und zu viel mit dem Einfluß, den man durch die an-
gebliche öffentliche Meinung, wie sie durch Preß-Agenten und
Subsidien erzeugt wurde, auf Berliner Entschließungen früher
hatte ausüben können und durch Vermittlung fürstlicher Ver-
wandten und Correspondenzen des königlichen Hauses auch
ferner auszuüben bereit und im Stande war.