94 Zweiundzwanzigstes Kapitel: Die Emser Depesche.
des Vaticanums in Deutschland, gestützt auf Allianz mit dem
katholischen Oestreich, erleichtern würden. Ihre ultramontanen
Tendenzen waren der französischen Politik in Deutschland förder-
lich, in Italien nachtheilig, da das Bündniß mit letzterm schließ-
lich an der Weigerung Frankreichs, Rom zu räumen, scheiterte.
In dem Glauben an die Ueberlegenheit der französischen Waffen
wurde der Kriegsvorwand, man kann sagen, an den Haaren
herbeigezogen, und anstatt Spanien für seine, wie man annahm,
antifranzösische Königswahl verantwortlich zu machen, hielt man
sich an den deutschen Fürsten, der es nicht abgelehnt hatte, dem
Bedürfniß der Spanier auf deren Wunsch durch Gestellung
eines brauchbaren und voraussichtlich in Paris als persona
grata betrachteten Königs abzuhelfen, und an den König von
Preußen, den nichts als der Familienname und die deutsche
Landsmannschaft zu dieser spanischen Angelegenheit in Beziehung
brachte. Schon in der Thatsache, daß das französische Cabinet
sich erlaubte, die preußische Politik über die Annahme der Wahl
zu Rede zu stellen, und zwar in einer Form, die durch die
Interpretation der französischen Blätter zu einer öffentlichen
Bedrohung wurde, schon in dieser Thatsache lag eine inter-
nationale Unverschämtheit, die für uns nach meiner Ansicht die
Unmöglichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurück-
zuweichen. Der beleidigende Charakter der französischen Zu-
muthung wurde verschärft nicht nur durch die drohenden Heraus-
sorderungen der französischen Presse, sondern auch durch die
Parlamentsverhandlungen und die Stellungnahme des Mini-
steriums Gramont-Ollivier zu diesen Manifestationen. Die
Aeußerung Gramont's in der Sitzung des gesetzgebenden Kör-
pers vom 6. Juli:
„Wir glauben nicht, daß die Achtung vor den Rechten
eines Nachbarvolkes uns verpflichtet zu dulden, daß eine
fremde Macht einen ihrer Prinzen auf den Thron Karl's V.
setze .. Dieser Fall wird nicht eintreten, dessen sind wir