140 Dreiundzwanzigstes Kapitel: Versailles.
Wendung ausdrücklich gewählt, um einen Druck auf die Ab-
neigung meines hohen Herrn gegen den Kaisertitel auszuüben.
Am siebenten Tage nach seiner Abreise, am 3. December, war
Graf Holnstein mit diesem Schreiben des Königs wieder in
Versailles; es wurde noch an demselben Tage durch den Prinzen
Luitpold, jetzigen Regenten, unserm Könige officiell überreicht
und bildete ein gewichtiges Moment für das Gelingen der schwie-
rigen und vielfach in ihren Aussichten schwankenden Arbeiten,
die durch das Widerstreben des Königs Wilhelm und durch
die bis dahin mangelnde Feststellung der bairischen Erwägungen
veranlaßt waren. Der Graf Holnstein hat sich durch diese in
einer schlaflosen Woche zurückgelegte doppelte Reise und durch
die geschickte Durchführung seines Auftrags in Hohenschwangau
ein erhebliches Verdienst um den Abschluß unfrer nationalen
Einigung durch Beseitigung der äußern Hindernisse der Kaiser-
frage erworben.
5. December 1870 verlesene, von Bismarck entworfene Schreiben Lud-
wig's II. an König Wilhelm lautete: „Nach dem Beitritt Süddeutsch-
lands zu dem deutschen Verfassungsbündniß werden die Eurer Majestät
übertragenen Präsidialrechte über alle deutschen Staaten sich erstrecken.
Ich habe mich zu deren Vereinigung in einer Hand in der Ueber-
zeugung bereit erklärt, daß dadurch den Gesammtinteressen des deutschen
Vaterlandes und seiner verbündeten Fürsten entsprochen werde, zugleich
aber in dem Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium nach der Ver-
fassung zustehenden Rechte durch Wiederherstellung eines Deutschen
Reiches und der deutschen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden,
welche Eure Majestät im Namen des gesammten deutschen Vaterlandes
auf Grund der Einigung seiner Fürsten ausüben. Ich habe mich daher
an die deutschen Fürsten mit dem Vorschlage gewendet, gemeinschaftlich
mit mir bei Eurer Majestät in Anregung zu bringen, daß die Aus-
übung der Präsidialrechte des Bundes mit Führung des Titels eines
Deutschen Kaisers verbunden werde. Sobald mir Eure Majestät und
die verbündeten Fürsten Ihre Willensmeinung kundgegeben haben,
würde ich meine Regierung beauftragen, das Weitere zur Erzielung der
entsprechenden Vereinbarungen einzuleiten.“ Die im Texte erwähnte
„Coercitive Andeutung“ ist in den Worten enthalten: in dem Vertrauen,
daß u. s. w.