Deutscher Kaiser oder Kaiser von Deutschland? Proclamation. 143
gehabt, und so soll es ferner sein.“ Damit stand er auf, trat
an das Fenster, den um den Tisch Sitzenden den Rücken zu-
wendend. Die Erörterung der Titelfrage kam zu keinem klaren
Abschluß; indessen konnte man sich doch für berechtigt halten,
die Ceremonie der Kaiserproclamation anzuberaumen, aber der
König hatte befohlen, daß nicht von dem Deutschen Kaiser, son-
dern von dem Kaiser von Deutschland dabei die Rede sei.
Diese Sachlage veranlaßte mich, am folgenden Morgen, vor
der Feierlichkeit im Spiegelsaale, den Großherzog von Baden
aufzusuchen als den ersten der anwesenden Fürsten, der vor-
aussichtlich nach Verlesung der Proclamation das Wort nehmen
würde, und ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiser zu be-
zeichnen denke. Der Großherzog antwortete: „Als Kaiser von
Deutschland, nach Befehl Sr. Moajestät.“ Unter den Argu-
menten, die ich dem Großherzoge dafür geltend machte, daß
das abschließende Hoch auf den Kaiser nicht in dieser Form
ausgebracht werden könne, war das durchschlagendste meine
Berufung auf die Thatsache, daß der künftige Text der Reichs-
verfassung bereits durch einen Beschluß des Reichstags in Berlin
präjudicirt sei. Die in seinen constitutionellen Gedankenkreis
fallende Hinweisung auf den Reichstagsbeschluß bewog ihn, den
König noch einmal aufzusuchen. Die Unterredung der beiden
Herrn blieb mir unbekannt, und ich war bei Verlesung der
Proclamation in Spannung. Der Großherzog wich dadurch
aus, daß er ein Hoch weder auf den Deutschen Kaiser, noch
auf den Kaiser von Deutschland, sondern auf den Kaiser
Wilhelm ausbrachte 7.
Se. Majestät hatte mir diesen Verlauf so übel genommen,
daß er beim Herabtreten von dem erhöhten Stande der Fürsten
mich, der ich allein auf dem freien Platze davor stand, igno-
1) Man pgl. darüber die Aufzeichnung des Großherzogs Friedrich
von Baden bei O. Lorenz, Kaiser Wilhelm und die Begründung des
Deutschen Reichs S. 462 ff.