162 Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf.
6.
Die „Germania“ vom 6. December 1891 deducirt aus dem
Briefwechsel zwischen dem Grafen von Roon und Moritz
von Blanckenburg, veröffentlicht in der „Deutschen Revue“,
daß ich den Widerstand des Kaisers gegen die Civilehe ge-
brochen hätte.
Blanckenburg war ein Kampfgenosse, dessen Hauptwerth für
mich in unsrer aus den Kinderjahren datirenden und bis zu
seinem Tode fortdauernden Freundschaft bestand. Dieselbe war
aber auf seiner Seite nicht identisch mit Vertraun oder Hin-
gebung auf dem politischen Gebiete; auf diesem hatte ich die
Concurrenz seiner politischen und confessionellen Beichtväter zu
bestehn, und bei diesen war nicht die Absicht, bei Blanckenburg
nicht die Befähigung vorhanden, das historische Fortschreiten
deutscher und europäischer Politik in breitem Ueberblick zu be-
urtheilen. Er selbst war ohne Ehrgeiz und frei von der Krank-
heit vieler altpreußischer Standesgenossen, dem Neide gegen
mich; aber sein politisches Urtheil konnte sich schwer losreißen
von dem preußisch-particularistischen, ja pommerisch-lutherischen
Standpunkte. Sein hausbackner gesunder Menschenverstand
und seine Ehrlichkeit machten ihn unabhängig von conservativen
Partei-Strömungen, denen beides fehlte; von dieser Unab-
hängigkeit war jedoch die vorsichtige Bescheidenheit in Ab-
rechnung zu bringen, mit der ihn die Fremdartigkeit erfüllte,
die das politische Gebiet für ihn behielt. Er war weich und
gegen Beredsamkeit nicht gepanzert, keine unerschütterliche Säule,
auf die ich mich hätte stützen können. Der Kampf zwischen
seinem Wohlwollen für mich und seinem Mangel an Energie
andern Einflüssen gegenüber bewog ihn schließlich, sich von der
Politik überhaupt zurückzuziehn. Als ich ihn das erste Mal
zum landwirthschaftlichen Minister vorgeschlagen hatte, scheiterte
die Ausführung an dem Widerstande derselben Collegen, die