Gontaut u. Gortschakow als Komöbianten. Gortschakow's Eitelkeit. 199
für Verleumdung, was Russen mir gesagt haben, das Motiv
dieses Verfahrens sei gewesen, daß in dem Etat des aus-
wärtigen Ministers ein Pauschguantum für Telegramme aus-
geworfen sei und Gortschakow deshalb seine Mittheilungen lieber
auf deutsche Kosten durch unsern Geschäftsträger als auf russische
besorgt habe. Ich suche, obschon er sicher geizig war, das
Motiv auf politischem Gebiete. Gortschakow war ein geist-
reicher und glänzender Redner und liebte es, sich als solchen
namentlich den fremden, in Petersburg beglaubigten Diplomaten
gegenüber zu zeigen. Er sprach französisch und deutsch mit
gleicher Beredsamkeit, und ich habe seinen docirenden Vorträgen
oft stundenlang gern zugehört als Gesandter und später als
College. Mit Vorliebe hatte er als Zuhörer fremde Diplomaten
und namentlich jüngre Geschäftsträger von Intelligenz,
denen gegenüber die vornehme Stellung des auswärtigen
Ministers, bei dem sie beglaubigt waren, dem oratorischen Ein-
drucke zu Hülfe kam. Auf diesem Wege gingen mir die Gortscha-
kow'schen Willensmeinungen in Formen zu, die an das Roma
locuta est 1) erinnerten. Ich beschwerte mich in Privatbriefen
bei ihm direct über diese Form des Geschäftsbetriebes und
über die Tonart seiner Eröffnungen und bat ihn, in mir
nicht mehr den diplomatischen Schüler zu sehn, der ich in
Petersburg ihm gegenüber bereitwillig gewesen wäre, sondern
jetzt mit der Thatsache zu rechnen, daß ich ein für die Politik
meines Kaisers und eines großen Reichs verantwortlicher
College sei.
Als 1875 während der Vacanz des Botschafterpostens ein
Legationssecretär als Geschäftsträger fungirte, wurde Herr
von Radowitz, damals Gesandter in Athen, en mission extra-
ordinaire?) nach Petersburg geschickt, um die Geschäftsführung
auch äußerlich auf den Fuß der Gleichheit zu bringen. Er
1) Rom hat gesprochen (die Sache ist erledigt), sprichwörtlich.
!) In außerordentlicher Sendung.