330 Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm J.
eine platte Schmeichelei zu sagen. In dem Gefühle königlicher
Würde würde er gedacht haben: wenn Einer das Recht hätte,
mich in's Gesicht zu loben, so hätte er auch das Recht, mich
in's Gesicht zu tadeln. Beides gab er nicht zu.
Monarch und Parlament hatten einander in schweren innern
Kämpfen gegenseitig kennen und achten gelernt; die Ehrlichkeit
der königlichen Würde, die sichre Ruhe des Königs hatten
schließlich die Achtung auch seiner Gegner erzwungen, und der
König selbst war durch sein hohes persönliches Ehrgefühl zu
einer gerechten Beurtheilung der beiderseitigen Situationen be-
fähigt. Das Gefühl der Gerechtigkeit nicht blos seinen Freunden
und seinen Dienern gegenüber, sondern auch im Kampfe mit
seinen Gegnern beherrschte ihn. Er war ein gentleman ins
Königliche übersetzt, ein Edelmann im besten Sinne des Wortes,
der sich durch keine Versuchung der ihm zufallenden Macht-
vollkommenheiten von dem Satze noblesse oblige 1) dispensirt
fühlte: sein Verhalten in der innern wie in der äußern Politik
war den Grundsätzen des Cavaliers alter Schule und des nor-
malen preußischen Offiziersgefühls jederzeit untergeordnet. Er
hielt auf Treue und Ehre nicht nur Fürsten, sondern auch seinen
Dienern bis zum Kammerdiener gegenüber. Wenn er durch
augenblickliche Erregung seinem feinen Gefühl für königliche
Würde und Pflicht zu nah getreten war, so fand er sich schnell
wieder und blieb dabei „jeder Zoll ein König" 2), und zwar ein
gerechter und wohlwollender König und ehrliebender Offizier,
den der Gedanke an sein preußisches porte-épée auf
richtigem Wege erhielt 3.
Der Kaiser konnte heftig werden, ließ sich aber in der Dis-
cussion von der etwaigen Heftigkeit dessen, mit dem er dis-
cutirte, nicht anstecken, sondern brach dann die Unterredung
1) Adel legt Verpflichtungen auf.
:) Shakespeare, König Lear IV 6.
2) S. Bd. 1 326 f. 384.