Gerechtigkeitssinn. Heftigkeitsausbriüche gegenüber Roon u. Bismarck. 331
vornehm freundlich ab. Ausbrüche wie in Versailles bei Ab-
wehr des Kaisertitels ) waren sehr selten. Wenn er heftig
wurde gegen Leute, denen er wohlwollte, wie dem Grafen
Roon oder mir, so war er entweder durch den Gegenstand
selbst erregt oder durch fremde, außeramtliche Besprechungen
vorher an Auffassungen gebunden, die sich sachlich nicht ver-
treten ließen. Graf Roon hörte dergleichen Explosionen an
wie ein Militär in der Front den Verweis eines hohen Vor-
gesetzten, den er nicht verdient zu haben glaubt, aber er litt
nervös darunter und secundär auch körperlich. Auf mich haben
Ausbrüche von Heftigkeit des Kaisers, die ich seltner erlebte
als Roon, niemals contagiös, eher abkühlend gewirkt. Ich
hatte mir die Logik zurechtgelegt, daß ein Herrscher, der mir
in dem Maße Vertraun und Wohlwollen schenkte, wie Wil-
helm I., in seinen Unregelmäßigkeiten für mich die Natur einer
vis major ?) habe, gegen die zu reagiren mir nicht gegeben sei,
etwa wie das Wetter oder die See, wie ein Naturereigniß,
auf das ich mich einrichten müsse; und wenn mir das nicht
gelang, so hatte ich eben meine Aufgabe nicht richtig ange-
grifsen. Dieser mein Eindruck beruhte nicht auf meiner gene-
rellen Auffassung der Stellung eines Königs von Gottes Gnaden
zu seinem Diener, sondern auf meiner persönlichen Liebe zu
Kaiser Wilhelm I. Ihm gegenüber lag mir persönliche Empfind-
lichkeit sehr fern, er konnte mich ziemlich ungerecht behandeln,
ohne in mir Gefühle der Entrüstung hervorzurufen. Das Ge-
fühl, beleidigt zu sein, werde ich ihm gegenüber ebenso wenig
gehabt haben wie im elterlichen Hause. Es hinderte das nicht,
daß mich sachliche, politische Interessen, für die ich bei dem
Herrn entweder kein Verständniß oder eine vorgefaßte Meinung
vorfand, die von Ihrer Majestät oder von confessionellen oder
freimaurerischen Hofintriganten ausging, in der Stimmung einer
1) S. o. S. 133 ff.
:) Höheren Gewalt.