334 Zweiunddreißigstes Kapitel: Kaiser Wilhelm J.
Art, in welcher er 1885 bei meiner 50jährigen Dienstfeier ½)
die mir gebrachten Huldigungen nicht befahl und anordnete,
aber zuließ und mitmachte, stellte auch für das Publikum
und die Geschichte diesen königlichen und vornehmen Charakter
in das richtige Licht. Die Feier war nicht von ihm befohlen,
aber zugelassen und freudig befördert. Nicht einen Augenblick
kam ihm der Gedanke einer Eifersucht auf seinen Diener und
Unterthanen in den Sinn, und nicht einen Augenblick verließ
ihn das königliche Bewußtsein, der Herr zu sein, ebenso wie
bei mir alle, auch übertriebene Huldigungen das Gefühl, der
Diener dieses Herrn zu sein und mit Freuden zu sein, in keiner
Weise berührten.
Diese Beziehungen und meine Anhänglichkeit hatten ihre
principielle Begründung in einem überzeugungstreuen Royalis=
mus; aber in der Specialität, wie er vorhanden war, ist er
doch nur möglich unter der Wirkung einer gewissen Gegen-
seitigkeit des Wohlwollens zwischen Herrn und Diener, wie
unser Lehnrecht die „Treue“ auf beiden Seiten zur Voraus-
setzung hatte. Solche Beziehungen, wie ich sie zum Kaiser
Wilhelm hatte, sind nicht ausschließlich staatsrechtlicher oder
lehnrechtlicher Natur; sie sind persönlich, und sie wollen von
dem Herrn sowohl wie von dem Diener, wenn sie wirksam
sein sollen, erworben sein; sie übertragen sich mehr persönlich
als logisch leicht auf eine Generation, aber ihnen einen dauern-
den und principiellen Charakter beizulegen, entspricht im heutigen
politischen Leben nicht mehr den germanischen, sondern eher den
romanischen Anschauungen; der bourbonische porte-coton ?) ist
in die deutschen Begriffe nicht übertragbar.
1) Sie wurde nach Wunsch des Kaisers mit der Feier des 70. Ge-
burtstags verbunden.
:) So ist zu lesen statt: der portugiesische porteur du coton. — Am
portugiesischen Hofe war der porte-coton unbekannt; er gehörte zur Hof-
beamtenhierarchie der Bourbonen.