Französischer Kreislauf. Presse und Parlament als Corrective. 69
Unvollkommenheiten, wie der Ueberschätzung der eignen Einsicht,
dem Einfluß und der Beredsamkeit von Günstlingen, ohne von
weiblichen, legitimen und illegitimen Einflüssen zu reden. Die
Monarchie und der idealste Monarch, wenn er nicht in seinem
Idealismus gemeinschädlich werden soll, bedarf der Kritik, an
deren Stacheln er sich zurechtfindet, wenn er den Weg zu ver-
lieren Gefahr läuft. Joseph II. ist ein warnendes Beispiel.
Die Kritik kann nur geübt werden durch eine freie Presse
und durch Parlamente im modernen Sinne. Beide Corrective
können ihre Wirkung durch Mißbrauch abstumpfen und schließlich
verlieren. Dies zu verhüten, ist eine der Aufgaben erhaltender
Politik, die sich ohne Bekämpfung von Parlament und Presse
nicht lösen läßt. Das Abmessen der Schranken, die in diesem
Kampfe innegehalten werden müssen, um die dem Lande unent-
behrliche Controlle der Regirung weder zu hindern noch zur
Herrschaft werden zu lassen, ist eine Sache des politischen Tactes
und Augenmaßes.
Wenn ein Monarch dafür das hinreichende Augenmafß besitzt,
so ist das ein Glück für sein Land, freilich ein vergängliches
wie alles menschliche Glück. Die Möglichkeit, Minister an's
Ruder zu bringen, welche die entsprechenden Eigenschaften be-
sitzen, muß in dem Verfassungsleben gegeben werden, aber auch
die Möglichkeit, Minister, die diesem Bedürfniß genügen, sowohl
gegen gelegentliche Majoritäts-Abstimmungen als auch gegen
Hof= und Camarilla-Einflüsse zu halten. Dieses Ziel war bis
zu dem nach menschlicher Unvollkommenheit überhaupt erreich-
baren Grade annähernd erreicht unter der Regirung Wilhelm's I.
4.
Die Eröffnung des Landtags stand unmittelbar nach unfrer
Ankunft in Berlin ) bevor, und die Thronrede kam in Prag
zur Berathung. Dort trafen Abgeordnete der conservativen
1) Am 4. August 1866.