46 Viertes Kapitel: Herrfurth.
dene Bedrückung durch Reste seudaler Einrichtungen zu be-
seitigen, die Unterlage der kaiserlichen Gunst war.
Herrfurth hatte mir schon vor seinem Eintritte in das
Ministerium von der Absicht einer Reform der Landgemeinde-
ordnung in den alten Provinzen gesprochen, und ich hatte ihn
dringend gebeten, diese Frage ruhn zu lassen: die Landbevöl-
kerung der alten Provinzen lebe in tiefem Frieden mit ein-
ander, Niemand fühle ein Bedürfniß der Aenderung mit Aus-
nahme etwa der Dörfer, welche Stadtcharakter angenommen
hätten, meistens Vororte großer Städte; die große Masse
der ländlichen Bevölkerung lebe in der jetzigen bäuerlichen
Dorfverfassung in Ruhe und Frieden, und auch zwischen Guts-
und Dorfgemeinden herrsche nicht nur Eintracht, sondern auch
auf beiden Seiten Abneigung gegen Aenderungen. Ich bat
dringend, die bestehende Eintracht auf dem Lande nicht durch
Hineinwersen von theoretischen Zankäpfeln zu stören, durch An-
regung unlösbarer Principienfragen Kämpfe hervor zu rufen,
zu denen bisher kein sachlicher Anlaß gewesen.
Herrfurth entgegnete, daß allerdings Anlaß vorhanden sei
in der Existenz von „Zwerggemeinden“, die außer Stande seien,
ihre Pflichten als Gemeinden zu erfüllen. Ich bestritt, daß da-
mit das Bedürfniß zu einer grundstürzenden Umwälzung be-
wiesen sei, die an das Jahr 1848 mit seiner Verfassungs-
macherei und Neuregulirung aller Lebensverhältnisse erinnerte.
Nach dieser Auseinandersetzung mit meinem Collegen und
nach vertraulichen Besprechungen der Frage, die im Winter
1888—1889 Statt gefunden hatten, war ich überrascht, als ich den
Besuch einer Deputation von Schönhauser Bauern erhielt, welche
mir von dem Landrathe erhaltene lithographirte Fragebogen
vorlegten, aus denen die Absicht der Regirung zu entnehmen
war, die Zustände unfrer Landgemeinden principiell neu zu ge-
stalten. Zu ihrer lebhaften Befriedigung konnte ich ihnen sagen,
daß ich, solange ich Minister sei, solchen Plänen nicht zustim-