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fähig wäre. Demgemäß strebte es selbst und
die ihm folgende Gesetzgebung die Aufhebung
der persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse, die
Schaffung vollen Eigentums an den nur unter
Beschränkungen besessenen Gütern, sowie die
Ablösung der den Grunddbesitz belastenden
Reallasten (soweit diese nicht dem öffentlichen
Rechte angehörten), sowie die Beseitigung der
zahlreichen Kulturschädlichen Servituten an.
In Ausführung dieses Programms wurde
zunächst, und zwar noch durch das Edikt selbst,
die Gutsuntertänigkeit im ganzen Staate auf-
gehoben: mit dem Martinitage 1811 gab es
nur noch freie Leute! GEleichzeitig beseitigte
das Edikt alle Einschränkungen, die hinsicht-
lich des Eigentumserwerbes an Grundstücken
bis dahin bestanden hatten, so daß fortan
der Edelmann zum Besitz nicht bloß adliger,
sondern auch unadliger, bürgerlicher und bäuer-
licher Güter aller Art und umgebehrt der
Bürger und Bauer auch zum Besitz adliger
Grundstücke berechtigt war; ebenso hob es die
bis dahin bestehende Geschlossenheit der Grund-
stücke auf.
Durch diese Maßregeln, so weittragend sie
auch waren, wurde die zwischen den Guts-
herren und den Bauern bestehende dingliche
Abhängigkeit nur erst wenig berührt. Die
wichtigste Folge dieses auf jahrhundertelanger
Entwichlung beruhenden Verhältnisses bestand
darin, daß den Bauern an ihren Besitzungen
meist kein Eigentum, sondern nur ein mehr
oder weniger stark ausgeprägtes, teils erbliches,
teils nichterbliches Besitzrecht zustand und daß
sie den Gutsherren zu Abgaben und Diensten
der mannigfachsten Art verpflichtet waren.
Hier Wandel zu schaffen, war der Zweck des
Ediktes über die Regulierung der gutsherr-
lichen und bäuerlichen Verhältnisse vom
14. Sept. 1811 (GS. 281), das Bestimmungen
traf, nach welchen die Lösung jenes Verhält-
nisses gegen Entschädigung der Gutsherren
mit dem Erfolge herbeigeführt werden konnte,
daß fortan die Bauern freie Eigentümer des
ihnen verbliebenen Landes wurden. Durch
die Deklaration vom 29. Mai 1816 (GS. 154)
wurde diese „Regulierungsfähigkeit“ zwar auf
die größeren „spannfähigen“ Stellen ein-
eschränkt; aber Abschn. III des G., betr. die
blösung der Reallasten und die Regulierung
der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse,
vom 2. Mlärz 1850 (GS. 77) gewährte die
Regulierungsfähigkeit uneingeschränkt allen
nicht zu Eigentums-, Erbzins= oder Erbpachts-
verhältnissen besessenen Stellen. (Näheres s.
unter Gutsherrlich-bäuerliche Regu—
lierungen.)
War durch diese Maßregeln für die Selb-
ständigmachung der bis dahin zu geringeren
Rechten besessenen bäuerlichen Besitzungen in
ausreichender Weise gesorgt, so galt es auch
noch die zahlreichen Dienste und Abgaben zu
beseitigen, die auf denjsenigen Stellen hafteten,
welche zu Eigentum, Erbzins= oder Erbpacht-
recht besessen wurden und die ihre Besitzer in
ihrer Existenz und Bewegungsfreiheit schwer
beeinträchtigten. Diesem Zweckhe diente die
AblO. vom 7. Juni 1821 (GS.77). Diese ließ
zwar das Obereigentum der Gutsherren be-
Agrargesetzgebung.
stehen, gestattete aber eine Ablösung der
Hand= und Spanndienste, Aatural= und Geld-
leistungen, sedoch mit der Einschränkung, daß
die Hand= und Spanndienste nur von
den größeren, spannfähigen Ackernahrungen
abgelöst werden konnten. Auch hier kam erst
das bereits erwähnte Abll b. vom 2. März
1850 zu einer endgültigen Regelung, indem
es sowohl das Obereigentum des Guts= oder
Grundherrn aufhob, als auch alle be-
ständigen Abgaben und Leistungen, welche
auf eigentümlich oder bisher erbpachts= oder
erbzinsweise besessenen Grundstüchen oder
Gerechtigkeiten hafteten (Reallasten), für ablös-
bar erklärte. Für die an Kirchen, Pfarren,
Küstereien und Schulen zu entrichtenden Ab-
gaben wurde darin zwar noch ein Vorbehalt
emacht, durch das G. vom 27. April 1872
GS. 417) hat aber auch dieser seine Erledigung
gelunden (Däheres f. unter Ablösung der
eallasten.)
Außer mit den insbesondere den Guts-
herren geschuldeten Reallasten waren die länd-
lichen Grundstüche vielfach auch noch mit
Rechten zu ihrer gemeinschaftlichen Benutzung
belastet; es bestanden Gemeinheiten der mannig-
fachsten Art, namentlich Weide-, Mast= und
Holzungsberechtigungen, sei es, daß sie auf
einem gemeinschaftlichen Eigentum oder einem
Gesamteigentum, oder auf einem einseitigen
oder wechselseitigen Dienstbarkeitsrechte be-
ruhten. Diese schränkten den einzelnen in
der Benutzbarkeit seiner Grundstücke erheblich
ein (Dreifelderwirtschaft, Flurzwang). Ihnen
trat zunächst das Edikt zur Beförderung der
Landkultur vom 14. Sept. 1811 (GS. 300)
und demnächst die Gemeinheitsteilungsordnung
vom 7. Juni 1821 (GS. 53) entgegen, indem
die Aufhebung der wichtigsten und lästigsten
von ihnen für zulässig erklärt wurde. Das
Ergänzungsgesetz vom 2. März 1850 (GS. 139)
hat demnächst noch den Kreis der ablösbaren
Berechtigungen erheblich erweitert. (Däheres
s. unter Gemeinheitsteilungen).
In den 1866 mit der preuß. Monarchie
vereinigten Landesteilen hatte teils ein regu-
lierungsfähiger Besitz überhaupt nicht bestanden.
teils waren seine Rechtsverhältnisse bereits
anderweit geordnet. Hier lag daher zu einem
Eingreifen der preuß. Gesetzgebung Rheine Ber-
anlassung vor. Wohl aber führte diese die für
die Ablösung der Reallasten und die Auf-
hebung der Dienstbarkeiten (Gemeinheits-
teilungen) in den alten Provinzen maßgebenden
Grundsätze alsbald auch in jene Gebietsteile ein.
Die Ausführung aller der vorbezeichneten,
durch zahlreiche Einzelgesetze näher geregelten
und ergänzten Maßregeln wurde, soweit sie
nicht kraft Gesetzes unmittelbar in Wirkung
traten, besonderen Behörden, den General-
kommissionen, übertragen. Diese haben ihre
Hauptaufgabe, die Regulierung der gutsherr-
lichen und bäuerlichen Verhältnisse, völlig er-
ledigt. Ablösbare Reallasten und Dienstbar-
keiten (Gemeinheiten) bestehen jedoch noch in
nicht unbedeutendem Umfange: wohl ausschließ-
lich aus dem Grunde, weil ihre Beseitigung
nur auf Antrag der Beteiligten erfolgen kann.
Inzwischen sind aber diesen Behörden neue