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Krieg, welcher nur durch die Rücksicht auf diese „dynastischen-
Interessen des obersten deutschen Fürstenhauses zum Ausbruch kam,
nicht durch den kriegerischen Willen, nicht durch die Anmaßung und
Ueberhebung des französischen Volkes und seiner damaligen Re-
gierung.
Das aber, genau das, behauptet Herr Liebknecht seit 21 Jahren.
Er hat sich dafür eine eigenartige Legende ersonnen.
Er behauptet: der ganze französisch-deutsche Krieg sei nur
ausgebrochen in Folge einer angeblichen Depesche aus Ems vom
13. Juli 1870, welche besagte, daß König Wilhelm den französischen
Botschafter Grafen Benedetti nicht weiter empfangen und hören
wolle. Diese von der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ ver-
öffentlichte Depesche habe Bismarck „gefälscht“, d. h. in der Haupt-
sache anders gestaltet, als sie in Wirklichkeit lautete — und durch
die Versendung dieser „gefälschten Depesche an die preußischen Ge-
sandtschaften bei den auswärtigen Mächten habe er den Krieg zum
Ansbruch gebracht, da Frankreich, wenn diese unglückselige gefälschte
Depesche nicht plötzlich aufgetaucht wäre, in seiner himmlischen
Friedensliebe nicht daran gedacht haben würde, dem deutschen Volke
den Frieden zu rauben. Bismarck aber, der Mann von „Blut und
Eisen“, der „rechtverachtende Staatsmann“ u. s. w., wie ihn Herr
Liebknecht bis zum heutigen Tage in seinen Blättern und Schriften
immer benannt hat, dieser „Junker“, habe die Emser Depesche nur
aus „dynastischem" Interesse so gröblich „gefälscht".
Da Herr Liebknecht nun aber aus reichen Erfahrungen weiß,
daß seinen eigenen „Enthüllungen“ — z. B. seinen dreisten zahl-
reichen Angriffen auf unsere mustergültige Postverwaltung wegen
angeblicher Verletzung des Briefgeheimnisses — stets nur allge-
meiner Unglaube und entrüstetes Murren folgt, so hat er sich die
Schwurzeugen für diese seine Legende, welche er zunächst mal aus
dem Stegreif dichtete, ohne irgend welche Beweise dafür zu haben,
später überall aufgesucht, wo er solche zu finden vermeinte. Sein
Hauptgewährsmann ist bis zum heutigen Tage der verlogenste und,
sowohl seiner amtlichen Stellung wie seiner unwahren Natur nach,
unglaubhafteste Darsteller der deutsch-französischen Verwickelung,
der Duc de Gramont, von dessen Buch Ja France et la Prusse“
wir später noch reden werden.
Aber auch wenn auf deutschem Boden irgend etwas geschrieben
wurde, was nach Herrn Liebknechts Auffassung ein Wässerlein auf
seine Fälschungsmühle gab, so beeilte er sich, jedes Tröpschen sorg-
fältig aufzufangen. Freilich mit einem für ihn sehr unangenehmen
Erfolg.
# wurde nämlich solchenfalls gerichtlich überführt, daß er die
Unwahrheit gesagt habe, indem er Leute, welche sich einer größeren