Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

274 I. 14. Die Sozialdemokcalie bis 1878. 
tionalliberalen mit ihrem Anhang 107, der Fortschritt mit seinem Anhang 27, das 
Zentrum 94, die Welfen 10, Polen 15, Protestler 11, Sozialdemokraten 9, die 
Volkspartei 5 Abgeordnete. 
Der nene Entwurf eines Sozialistengesetzes, welchen die Regierung dem am 
9. September zusammentretenden Reichstag vorlegte, fand schon in der ersten Be- 
ratung die lebhafte Zustimmung der Konservativen und der Nationalliberalen. Die 
Vorlage war freilich auch weit gründlicher durchgearbeitet als der Maientwurf. Noch 
besser und klarer kam sie dann aus den Beratungen der Kommission wieder zurück an 
den Reichstag zur zweiten und dritten Lesung. In hervorragender Weise griff diesmal 
Fürsl Bismarck in die Debatten ein. In seiner unvergleichlich anschaulichen und tressen- 
den Art zeichnete er die Kunst und Wirkung der sozialdemokratischen Verhetzung, ent- 
wickelke er den Zustand der Notwehr des Staates und der Gesellschaft gegenüber diesem 
Frevel. Dabei verlicherte er nachdrücklich, daß er keine reaktionäre Politik treiben 
wolle. Der Dank Bennigsens führte zu ernenert freundlicher Gegenrede des Fürsien. 
Auch Lasker und Bamberger traten in bedentenden Neden für die Vorlage ein. Die 
Sozialdemokratie fühlte sich diesmal durch ihre „Würde“ nicht mehr behindert, an der 
Debatte sich zu beteiligen. Aber vielleicht hätte sie gerade diesmal besser geschwiegen, 
denn ihre Haltung war völlig würdelos. Bald betenerte sie ihre Unschuld an der 
Verhetzung und Entsittlichung der Massen, namentlich an den beiden Attentaten; bald 
belobte sie selbst ihren gesetzlichen, friedfertigen Sinn; bald versicherte sie, das Gesetz 
werde der Partei nur nützen. Und dann wieder drohte Hasselmann mit den Barri- 
kaden, wenn das Gesetz angenommen werde. Durch Liebknecht drohte sie mit dem 
Nevolutionstribnnal, vor welchem Rechenschaft zu leisten sein werde für diesen 
„Frevel“. Und endlich erklärte Bracke, „daß die Partei auf das ganze Gesetz pseife“. 
Am 19. Oktober wurde die Kommissionsvorlage mit 222 gegen 149 Stimmen ange- 
nommen. In der Mehrheit standen geschlossen die beiden konservativen Fraktionen 
und die Nationalliberalen, ein einziger Ultramontaner und ein Fortschriktler; in der 
Minderheit alle übrigen, namentlich also das Zentrum. Am 21. Oktober schon wurde 
das Gesetz im „Neichsanzeiger“ verkündet. 
Die Hauptbestimmungen dieses Gesetzes, welches zunächst nur bis zum 1. März 
1881 gelten sollte, aber bis zum Oktober 1890 in Krast blieb, gehen dahin: 
Vereine, welche durch sozioldemokratische, sozialistische und lommunistische Bestrebungen 
den Umslurz der bestehenden Stlaats= und Gesellschaftsordnung bezwecken, sind zu verbielen. 
Dasselbe gilt von Vereinen, in welchen derarlige Besirebungen in einer den öfsenklichen Frieden, 
insbesondere die Eintracht der Bevöllerung gefährdenden Weise zu Tage treten. Den Vereinen 
siehen gleich Verbindungen jeder Art (§ 1). In den von der Reichstagskommission herrührenden 
§§ 2, 3, 4. 6 sind sehr eingehend Beslimmungen betreffs der sozialdemokratischen Kassen ge- 
trossen, welche der Enlwurfs nur flüchtig berührt hatte. Diese Kassenvereine wurden unler sioal- 
liche Kontrolle gestellt. Das Verbot von Vereinen wirkte für das ganze Reichsgebiet und für alle 
Zweigvereine und hatte die Beschlagnahme aller Kassen und sonstigen Gegenstände der Vereme 
zur Folge. Die Verwaltungsbehörde besorgte donn das Liqnidolionsverfahren dieser Kassen 
(§§ 6, 7). Das Verfahren dieser Verbote und das Beschwerdeverfahren sowie die Zusammen- 
setzung der Beschwerdezentratkommission wor eingehend geregell (8§ 8, 27). Weilere Paragraphen
	        
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