Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

Anträge Guerber gegen die „Diltatur“ und für die Preftfreiheil. 293 
und bedentendsten. Und wenn den Herren der Wunsch erfüllt würde, den sie selbst mit dem er- 
sten Antrag zu erkennen gegeben. wieder französisch zu werden, so würden sie sich zweifellos so- 
fort im vollständigen Belagerungszustand besinden, der doch mit etwas weniger Schonung, ich 
lann unter Umitänden sagen, wenn die Wogen hochgehen, mit etwas weniger Menschlichkeit ge- 
handhabt wird als bei uns, und in dessen Hintergrund sie statt auf die Vogesen die Aussicht 
auf Lambessa und Neu Kaledonien (die französischen Strafkolonien) haben. Wenn ich daher noch 
zweifelhaft gewesen wärc“, erklärt Bismarck weiter, „ob ich die Aufhebung dieser Bestimmung 
befürworten könnte, so haben die jüngsten Wahlen, so hal der Antrag, den dieselben Herren unter- 
schrieben haben, auf eine allgemeine Abstimmung, die ja doch nur die Loslösung dieses Teiles 
vom Reiche als Hintergedanken haben konnle, so hat die Art, wie die Herren die Erscheinungen 
anssassen und össentlich schildern, in mir jeden Funken von Zweisel beseitigt. Nachdem ich die 
Herren hier näher kennen gelernt habe, sage ich ihnen, ich kann unbedingt nicht ohne diese Macht- 
vollkommenheit, die bisher geübt ist, die Verankwortung für die Verwaltung, die mir soweit ob- 
liegt, tragen.“ Endlich aber ruft Bismarck den Unzusriedenen zu: „Wenn Sie hälten protestieren 
wollen. so hätten Sie bei Ansbruch des Krieges protestieren müssen, bei vielen anderen Gelegen- 
heiten prolestieren sollen. Aber nachdem Sie geholfen haben, daß die Flut hereinbrach, daß ein 
Krieg geführt wurde, so möchte ich sagen, daß jeder, der auch nur ein Dreißigmillionstel der 
Mitschuld und Verantwortlichkeit an dem so ruchlosen Angriffskriege gegen uns krug, doch sollte 
an seine Brust schlagen und fragen: habe ich damals meine Schuldigkeit gethan?“ 
Bismarck forderte daher die sofortige Ablehnung des Antrags im Plem#m des 
Reichstags als ein „volles und festes Vertranensvotum für die Reichsregierung“. 
Verweise man den Antrag erst an eine Kommission, „so würde man im Elsaß und 
auch im Anslande unter dem Eindrucke leben, daß der Reichstag die Sache doch nicht 
so klar gefunden hat“. 
Leider wurde der Antrag Guerber gleichwohl nur mit 196 gegen 138 Stimmen 
abgelehnt. In der Minderheit standen die Elsaß-Lothringer, das Zentrum, die Polen 
und Sozialdemokraten, der Däne Kryger, der Welse Ewald, der Demokrat Sonnemann 
und leider auch die „deutsche“ Fortschrittspartei, mit Ausnahme der Abgeordneten 
Löwe, Erhard, Baumgarten, Lorenzen, Rohland und Moritz Wiggers. Wie das Aus- 
land diese Abstimmung beurteilte, konnten die Fortschrittler an den Worten erkennen, 
welche damals die Pariser „Assemblée nationale“ schrieb: „In einer Frage, bei 
welcher die Vaterlandsliebe alle Parteileidenschaften hätte zum Schweigen bringen 
mussen, hat Herr von Bismarck mur eine Mehrheit von 58 Stimmen erhalten! Dieser 
Umstand zeigt uns aufss deutlichste, welcher Umschwung in den Geistern des deutschen 
Volkes stattgefunden hat.“ 
Wenige Wochen später stellte Guerber einen neuen Antrag, welcher die sofor- 
lige Einsührung eines Preßgesetzes in Elsaß-Lothringen verlangte, um für die 
auihyetende Presse der Franzosen und Ultramontanen des In= und Auslandes die 
vollste „Freiheit“ zu erzwingen. Der Antrag wurde am 23. März 1874 mit 174 
gegen 129 Stimmen abgelehnt. Ein Nebenantrag: „Das Verbot fremder Zeitungen, 
welche binnen Jahresfrist zweimal verteilt seien, nur auf sechs Monate, nicht auf 
zwei Jahre zu beschränken“, blieb dagegen nur mit 6 Stimmen in der Minderheit. 
Erkannte die elsässisch-lothringische Bevölkerung aus diesen Verhandlungen, daß 
auch der Reichstag solchen Forderungen, welche auf praktischem Boden sußten, sein Ohr
	        
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