Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

340 II, 2. Bismarcks Wirtschaftspolitil im Reichstag 1879. Polikische Folgen. 
diese föderative Klausel zu erlangen, habe das Zenirum ausierdem alle lonstimmionellen Garan- 
tien preisgegeben. Jetzt, im Hochgefühl der weltgeschichtlichen Errungenschaften, denen das Deuische 
Reich seine Entstehung dankt, mögen die Schöpser dieses Reiches die Reichsgewalt für stark genug 
halten, um dem Partikularismus dieses Opfer zu bringen. Aber wird die Reichsgewalt immer so 
start fein wie heute? Seit bem Attertum bis in die neuere Geschichte hat die wesentliche Krast und 
Sicherheit von Bundesstaaten immer darauf beruht, daß hinsichttich der Heeresverfassung und der 
Finanzen die Bundesgewalt eine genügende Ansstaliuung besaß. Wo das nicht geschehen, ist der 
Bundesstaat zerfallen und zerbröckelt. Namentlich die deuische Geschichte ist dafür lehrreich. Der 
söderative Charalter des Reiches ist ohnehin schon vollständig sichergesiellt dadurch, das nur 
ein Teil der Hoheitsrechte der Einzelstaaten auf das Reich übertragen sind, und daß 14 Stimmen 
im Bundesrate jeder Änderung der Reichsverfassung widersprechen können (Bayem, Württem- 
berg, Sachsen). Man ist auf dem Wege, an der Verfassung etwas zu ändern, sieis nur ganz 
langsam vorgegangen, und wo das geschehen, wie bei den deutschen Justizgesetzen, hat es sich 
herausgestellt als ein Segen für ganz Deutschland. Nun, da diese Justizgesetze in Kraft treten 
sollen, die eine größere Ansdehnung des deutschen Einheitsgedankens anf diesen großen Rechts- 
gebielen in sich schließen, soll die Finanzhoheit des Reiches zum erstenmal beschränkt werden 
Sie werden es einer Zahl von Freunden und mir nicht verargen, wenn, nachdem dieser Antrag 
beschlossen ist, wir den Tarif nicht annehmen können, für den viele von uns ohne diesen Antrag 
gestimmit hätten.“ 
Die starken Ausdrücke, welche Bennigsen vermieden hatie, brauchte nach ihm der 
greise Prosessor Beseler, sein Fraktionsgenosse. Er faßte seinen Zorn und Schmerz 
über den Antrag Franckenstein in die kräftigen Worte zusammen: „Ich will die Hand 
nicht bieten zur Durchführung einer solchen Anarchie der Gesetzgebung. Das neune ich 
das Reich degradieren.“ 
Unmittelbar nach ihm erhob sich Bismarc (Stenogr. Bericht, S. 2193—2198). 
Er seellte sich in dieser Streitfrage auf den realpolitischen Standpunkt. Der ganze 
Kampf erscheine ihm eitel Silbenstecherei, „er macht mir ungefähr den Eindruck wie 
das bekannte Wort bonnet blanc oder blanc bonnet. oder ob ich spreche von einem 
schwarzen Tuchrock oder von einem Rock von schwarzem Tuch“. Allerdings war die 
herrschende Farbe diesmal durchaus schwarz. Bismarck hielt es praktisch für vollkom- 
men gleichgültig, ob das Reich seine Einnahmen gleich in der Kasse behalte oder ob 
sie ihm von den Einzelstaaten in der Gestalt von Matrikularbeiträgen wieder entrichtet 
würden. Die Hauptsache sei, daß das Geld überhaupt beschafft werde und den Einzel- 
staaten zur Erleichterung der direkten Steuern zu gute komme. Nur vermied er, zu er- 
klären, warum er in seinen von Vennigsen wörtlich angeführten Außerungen vom 
Februar und Mai 1879 gerade den emgegengesetzten Standpunkt eingenonmnen habe. 
Und er ließ auch die Thatsache unerörtert, daß die Einzelstaaten nach Annahme des 
Franckensteinschen Antrags die ihnen zusallenden Einnahmen als ihr gutes Recht 
betrachten würden, bei jeder künstigen Erhöhung der Matrikularbeiträge aber das 
Neich abermals als „lästigen Mahner“ betrachten müßten, so daß dann der alte Ubel- 
stand der Neichsbestenerung nach Köpsen wieder anslebte, dessen Beseitigung Bismarck 
am eifrigsten erstrebt hatte. Die Rede Bismarcks ist überhaupt weniger bedentend 
und bedeutsam als Verteidigung des Franckensteinschen Antrags, als vielmehr in 
ihrem Angrisf gegen die nationalliberale Partei, der einer Lossage von dieser alten
	        
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