Die Kissinger Verhandlungen (1878). Tod Franchis. Sein Nachfolger Nina 2c. 383
„Es ist Ihnen wohl bekannt, Herr Kardinal, daß Wir, dem Antriebe Unseres Herzens
Folge teistend, die Herrscher der Nationen auffordern, in diesen Zeiten, wo es so sehr not-
thut, die krästige Stütze, die ihnen die Kirche darbietet, nicht zurückzuweisen, und Uns auch an
den mächtigen Kaiser der edeln dentschen Nation, die wegen der den Katholiken geschaffenen
schwierigen Lage ganz besonders Unsere Fürsorge erheischte, gewendet haben. Dieses Wort, ein-
zig und allein von dem Wunsche eingegeben, Deutschland den religiösen Frieden wiedergegeben
zu sehen, fand eine günstige Aufnahme von seiten des erhabenen Kaisers und hatle das erfreu.
liche Ergebnis, daß es zu freundschaftlichen Unterhandlungen führte, bei denen es nicht unsere
Absicht war, zu einem einfachen Wassenstillstand zu gelangen, welcher den Weg zu neuen Kon-
flikten ofsen ließe, sondern nach Entfernung der Hindernisse einen wahren, soliden und danerhaf-
ten Frieden zu schließen. Die Wichtigkeit dieses Zieles, das von der hohen Weiheit jener, welche
die Geschicke jenes Reiches in ihren Händen haben, richtig erwogen wurde, wird dieselben, wie
Wir vertranen, dahin führen, Uns die Freundeshand zu bielen, um es zu erreichen. Die Kirche
würde ohne Zweisel glücklich sein, bei jener edeln Nation den Frieden wiederhergestellt zu sehen,
aber auch das Reich würde darüber nicht weniger glücklich sein und würde, nachdem die Gewissen
bernhigt sind, in den Söhnen der katholischen Kirche wie ehedem seine treuesien und hochherzigsten
Unterthanen finden.“
Die halbamtliche „Provinzialkorrespondenz“ veröffentlichte dieses päpstliche Schrei-
ben, abweichend von den preußischen diplomatischen Gewohnheiten, bereits am 2. Okto-
ber 1878, um das Zentrum über die Stimmungen und Absichten des Oberhirten der
katholischen Christenheit zu belehren. Denn am Schlusse diefer Verösfentlichung sagte
das Blait: „Mit dieser Stellung des Papstes aber steht in schroffem und höchst auf-
fallendem Widerspruch die Haltung, welche die ultramontane Presse jenen sriedlichen
Absichten und Aussichten gegenüber beobachtet.“ Ein zweiter Artikel desselben Blattes
vom 6. November, welcher jedenfalls unmittelbar vom Fürsten Bismarck angeregt
war, ging mit der ganzen Zentrumspartei schonungslos ins Gericht und enthüllte
deren gesamtes „ränkevolles Treiben“.
„Weder der Wunsch, noch die Hosfnung des Papstes auf kirchlichen Frieden schienen in der
ultramontanen Partei irgend einen Widerhall zu finden: ihre Wortführer lieszen es sich vielmehr
angelegen sein, den Glauben an die Möglichleit eines Friedens mit der deutschen Regierung von
vornherein zu ersticken. Um sich in dieser Beziehung nicht in ossenen Widerspruch mit Rom zu
seen, wurde in der ultramontanen Presse eifrig bestritten, daß die Anregung zu den vertrau-
lichen Verhandlungen vom Papst ausgegangen sei; es wurde behauptet, Fürst Bismarck habe
die Verhandlungen lediglich zur Erreichung augenblicklicher politischer Zwecke angeknüpft.“ Nach-
dem nun der Payfst selbst diese Behauptung Lügen gestrast und in dem bekannten Schreiben an
Kardinal Nina seinen Wunsch nach Frieden nachdrücklich bekundet hatte, „sind die ultramon-
tanen Wortführer bemüht, alle Friedensliebe und alles Verdienst um die Friedensverhandlungen
dem Papst allein zuzuschreiben“. Während der Papst in jenem Schreiben die Erwartung aus-
spricht, „die vertrauensvollen Verhandlungen mit Preußen würden auch das Ergebnis haben, die
Katholiken zu ernenler Bewährung ihrer Treue gegen Kaiser und Reich zu führen, in demselben
Augenblicke“ versagen die Ultramontanen im Reichstage der Regierung selbst die Mittel zur
Belämpfung der Sozialdemokratie, richten sie „täglich neue Verdächtigungen und Schmähungen
gegen den Reichskanzler“, slellen eine friedliche Löjung „mit dieser Regierung“ als ummöglich
bin, und wiederholen zur Unterstützung dieser Behauptung die Versicherung, daß die Verhand-
lungen thatsächlich abgebrochen seien. Und dagegen „schweben nach wie vor vertranensvolle