384 II. ö. Versuche einer Verständigung mit Rom (1878—83).
Verhandlungen zwischen der päpstlichen Kurie und dem Deutschen Reiche. Dieses auffällige
Verhallen ist nur erklärlich durch den Charakter, die Zusammensetzung und die Leitung der Zen-
trumspartei, welche sich seit Jahren als Vertreterin der kirchlichen Interessen der deulschen Katho-
liken gebärdet, in welcher aber in Wahrheit noch ganz andere, rein polilische Gesichtspunkte maß-
gebend sind, die mit den wirklichen Interessen der römischen Kirche absolut nichts gemein haben,
deren leidenschaftliche Gellendmachung aber von vornherein den kirchlichen Kampf verbittert und
vergistet und damit der katholischen Bevölkerung unsäglichen Schaden bereitet hat. Die schlaue
und künstliche Vermischung der ultramontanen Interessen mil denen des früheren (streng lutheri-
schen) welsischen Fürstenhauses, die Leitung der ganzen Partei durch einen in allen Künsten und
Wegen der Politik bewanderten ultramontanen Welsenführer (Windthorst) hat die schweren und
verhängnisvollen Verirrungen der Partei und das gehässige Treiben ihrer Presse herbeigeführ!.“
Der Artikel schloß;: „Wenn das aufrichtige Streben der deutschen Regierung im Verein mit
einem friedliebenden Papste für die Wiederherstellung des kirchlichen Friedens in Deutichland
in Wahrheit und danernd gelingen soll, so muß durch die berufenen kirchlichen Autorifäten und
aus der katholischen Bevölkerung heraus dem verwirrenden und vergistenden Treiben der Parkei
ein Ziel gesetzt werden, deren einflußreichsten Führern das Interesse der Kirche nur der Deck-
mantel für politisch unterwühlende Zwecke ist und welche der Erwartung des Papstes in Bezug
auf die Treue der katholischen Unterthanen des Deutschen Reiches durch ihr ganzes Verhalten
ofjen Hohn sprechen.“
Diese Friedensseindschaft und antinationale Haltung des Zeutrums wurde dann
im Dezember 1878 weiter bethätigt durch Einbringung ultramontaner Anträge im
preußischen Landtag: die geistlichen Orden wieder zuzulassen und die Artilel 15, 16
und 18 der preußischen Verfassung wiederherzustellen. Minister Falk mies diese Ver-
suche, „einen Frieden auf der Grundlage der unbedingten Unterwersung des Staates
herbeizuführen“, als unannehmbar und „Unverantwortlich“ zurück, und der Landtag
verwarsf denn auch diese Anträge mit großer Mehrheit. Aber selbst bei den von Bis-
marck im September 1879 in Gastein wieder ausgenommenen Verhandlungen mit der
Kurie, welche hier durch den Pronunzius Jacobini vertreten war, ließ sich der inzwischen
geübte unheilvolle Einfluß der Zentrumspartei sehr wohl verspüren. Denn die Ver-
handlungen in Gastein wurden von der Kurie auf einer ganz anderen Grundlage ge-
führt als in Kissingen. Hier hatte Kardinal Masella die Anzeigepflicht als Gegengabe
für die Wiederherstellung der preußischen Gesandtschaft in Rom angeboten. I
Gastein dagegen forderte Jacobini von Bismarck die Abschafsung der Maigesetze, ohne
jede Gegenleistung des römischen Stuhles. Freilich wurde dieses Ansinnen vom Reichs-
kanzler scharf zurückgewiesen. Am 26. Mai 1880 verössentlichte Bismarck plötzlich,
um ganz Demschland von dem Inhalt dieser bis dahin geheimgehaltenen Verhand-
lungen in Kenntnis zu setzen, die vertraulichsten Schriststücke, welche der Fürst im
Laufe dieser Verhandlungen verfaßt und empfangen hatte, unter anderem einen ver-
tramlchen Erlaß des Kanzlers an den deulschen Botschafter Prinzen Neuß in Wien
vom 20. April 1880, in welchem es heißt: »
„Ich habe weder zu Masella noch zu Jacobini jemals eine Silbe gesagt, welche dahin hätle
thode der klerikalen Forderungen willigen würden; friedliebende Praxis, erträglicher modnus vl·
vendi auf der Grundlage beiderseiliger Verträglichkeit ist alles, was mir jemals erreichbar schien.