Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

Verhandlungen in Gaslein und Wien. Breve des Papstes vom 21. Februar 1880. 385 
Ich habe die Rückkehr zu der Gesetzgebung von vor 18140 im Prinzip für annehmbar erllärt, 
die Rückkehr zu dem von 1810— 70 erwachsenen Zustande aber mit großer Bestimmtheil abge- 
lehnt, bei den drei oder vier Gelegenheiten, wo dieselbe von uns verlangt wurde. Diese Abtehming 
war nicht ein Mangel an Gesälligleit, sondern unabweisbare polilische Notwendigleit.“ 
Da also die Verhandlungen Bismarcks mit Jacobini in Gastein nicht weiter rück- 
ten, ließ er sie an den Amtssitz Jacobinis nach Wien verlegen und hier von preußischer 
Seite namentlich auch durch den Kirchenrechtslehrer Dr. Hübler führen, während gleich- 
zeitig ein reger Schriftwechsel zwischen dem Fürsten Bismarck und Prinzen Neuß an- 
hob. Aber auch in Wien kamen die dort am 20. November 1879 begonnenen Ver- 
handlungen im Lause vieler Monate kaum von der Stelle. Denn Rom betrieb auch 
hier die Politik des Forderns ohne Gegenleistung, und Preußen erklärte mit größter 
Bestimmtheit, daß die Grenzlinien zwischen Staat und Kirche durch die preußische Ge- 
setzgebung der Jahre 1873—75 unverrückbar gezogen seien. Ein Entgegenkommen 
seitens des Staates müsse sich also darauf beschränken, die Möglichkeit der Beseitigung 
von Disserenzpunkten freundschaftlich zu erörtern. Rom seinerseits forderte dagegen 
überall nicht bloße Milderungen, sondern die Abschassung aller staatlichen Kirchen- 
gesetze, wie der Kultusminister v. Puttkamer dem Abgeordnetenhause am 28. Mai 
1880 an zahlreichen Beispielen darlegte. Die Sprödigkeit der Kurie habe seit Gastein 
ossenbar eher zu- als abgenommen, so daß von „Verhandlungen“ in Wien eigent- 
lich nicht die Nede sein könne, sondern nur von Besprechungen. 
Da griff plötzlich der Papst selbst zum Zwecke einer rascheren Verständigung ein, 
indem er gleichzeitig dem von ihm ersehnten Frieden ein Opfer brachte. Schon in 
einem Schreiben von 1878 an den vormaligen Erzbischof Melchers von Köln. hatte 
Papst Leo ausgesprochen: „Unsere Seele wird niemals Ruhe finden, solange der kirch- 
liche Friede in Deutschland nicht wiederhergestellt ist. So werden die Gläubigen, dank 
ihrer Haltung und dank ihrer vollen Unterwerfung unter die Gesetze, welche nicht im 
Widerspruche mit dem Glauben und den Pflichten gegen die katholische Kirche stehen, sich 
würdig zeigen, die Wohlthaten des Friedens wiederzuerlangen und lange zu genießen.“ 
Aber diese hochsinnige Erklärung und Ermahnung hatte durchaus nichts gefruchtet, 
weder bei der Zentrumspartei noch bei dem päpstlichen Unterhändler in Gastein und 
Wien. Jetzt drückte der Papst seine Absicht und seinen Willen in noch seierlicherer 
Form aus. CEx erließ am 24. Februar 1880 un den vormaligen Erzbischof von Köln 
ein Breve, welches sofort verössentlicht wurde, und in welchem der Papst ausspricht: 
„Zwischen der kirchlichen und slaallichen Gewall lann ein dauerndes Einvernehmen bestehen, 
wenn nur von beiden Seilen der geneigte Wille, den Frieden anfrechlzuerhalten, oder, wo es 
nötig, ihn wiederherzustellen, nicht sehlt. Dast Wir von diesem Geiste und diesem Willen beseelt 
sind, das stehl bei Dir, ehrwürdiger Brude#r, und bei allen Gläubigen Deulschlands gewiß und 
zuverlässig fest. Ja, Wir begen diesen Willen so enlschieden, dast Wir, in Voraussicht der Vor- 
leile, welche daraus für das Heil der Seelen und für die össenlliche Ordnung hervorgehen wer- 
den, lein Bedenlsen tragen, Dir zu erklärcn, daß Wir, unn dieses Einvernehmen zu beschlennigen, 
dulden werden, daß der preußischen Staalsregiccung vor der lanonischen Einsetzung die Namen 
lener Priesler angezeigt werden, welche die Bischöfe der Dihzesen zu Teilnehmern ihrer Sorgen 
in der Ausübung der Seelsorge wählen.“ 
lum. T# Teutsche Neich zur Zeit Blemarcké. 25
	        
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