Full text: Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks.

Note Schlözers an Jacobini (5. Mai 1883). Neues Friedensgesetz v. 11. Juli 1883. 405 
kirchenpolitische Vorlage. Dieser Entwurf befreite, wie die Note Schlözers schon 
andentete, die gesamte katholische Hilfsseelsorge von der Anzeigepflicht. 
Die Begründung der Vorlage (Schultheß a. u. O. 1883, S. 80 —89) wies darauf hin, daß 
damit lediglich ein Nechtszustand wiederhergestellt werde, der in Preußen bis 1849 und in den 
später einverleibten Gebielskeilen bis zur Einführung der preußischen Verfassungsurkunde be- 
standen habe, und welcher sowohl in OÖsterreich als in den meisten deutschen Ländern, namenllich 
in Baden, Bayern und Würtkemberg, noch jetzt bestehe. Erst das Gesetz vom 11. Mai 1873 habe 
die Anzeigepflicht auch auf die Hilfsgeistlichen ausgedehnt. Das frühere Verhältnis, wesches nur 
bei dauernder Besetzung von Pfarrstellen die Anzeigepflicht erforderte, habe Nachteile nicht erzeugt 
und lönne daher unbedenklich wieder aufgenommen werden. 
Kach nicht sehr erheblichen Abänderungen des Entwurfes durch die Komnission 
des Abgeordnetenhaufes wurde das Gesetz am 25. Juni im Abgeordnetenhause, am 
2. Juli im Herrenhause angenommen. Der König und Kaiser vollzog es am 1 1. Juli. 
In der endgültig beschlossenen Fassung lantete es: 
Art. 1. Die Verpflichtung der geistlichen Oberen zur Benennung des Kandidaten für ein 
geistliches Amt sowie das Einspruchsrecht des Slaates werden aufgehoben: 1) für die Übertra- 
gung von Seelsorgämtern, deren Inhaber unbedingt abberufen werden dürfen; 2) für die An- 
ordnung einer Hilfsleistung oder Stellvertretung in einem geistlichen Amt, sofern letzlere nicht 
in der Bestallung eines Verwesers eines Pfarramts (Administralors, Provisors 2c.) besteht. — 
Art. 2 hob die Zuständigkeit des kirchlichen Gerichtshofs in diesen Angelegenheiten auf. Die 
Art. 3 und 4 sprachen Stkraffreiheit ans für geistliche Amtshandlungen in erledigten Pfarreien 
und einzelne Weihehandlungen in ertedigten Bistümern. 
  
6. Die Sozialpolitik des Deutschen Reiches (1880—89). 
Zm hundertjährigen Jubelseier der „großen“ französischen Revolution von 1789 
beriesf die französische Nation 1889 unter anderm auch einen internationalen Kongreß 
der Volkswirte nach Paris. Deutsche Berühmtheiten sind dort wohl nicht zahlreich 
erschienen, aber die übrige ausländische, d. h. nichtfranzösische Nationalökonomie war 
damals in Paris gut vertreten. Unter den Italienern ward der Professor und Senator 
Lu#zzatti, der spälere Finanzminister Italiens, besonders beachtet. Man war nengierig 
auf seinen Vortrag. Und in diesem Vortrag sprach er von der sozialpolitischen 
Gesetzgebung Deutschlands und saßte sein Urteil über dieselbe in die bedentenden 
Worte zusammen:.,Gest une odeuvre gigantesque, forgée au martean d’un cyxclope 
Ssociall“ (Es ist ein riesenhaftes Werk, geschmiedet mit dem Hammer eines sozialen 
Cyklopen.) Wenige Monate später, zu Ansgang des Jahres 1889, fällte ein Schweizer, 
ein Republikaner, der Prosessor der Nationalökonomie an der Berner Hochschule, von 
Zerleder, in einer wissenschaftlichen Zeitschrift des Kantons Bern sein Urteil über die 
sozialpolitische Gesetzgebung des Demschen Reiches. Er bezeichnete dieselbe als leuch- 
tendes und unerreichtes Vorbild für alle Kulturstaaten, welches einzig dastehe in der 
gesamten Geschichte der Menschheit und besonderes Lob verdiene wegen des weiten 
Spielraumes, den das Selbstbestimmungsrecht und die thätige Mitwirkung und
	        
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