Heimkehr des Kaisers. Seine ersten Erlasse. Handschreiben an Bismarck. 551
Bedeutender als die, wie sich später herausstellte, von Professor Gefscken ver-
verfaßte Ansprache des Kaisers „An mein Volk“, welche am 12. März im „Reichs-
anzeiger“ verössenllicht wurde, war das gleichzeitig veröffentlichte Oandschreiben des
Kaisers an den Fürsten Bismarck vom 12. März. Auch dieses soll ursprünglich
leilweise vom Professor Gesscken herrühren. In diesem Erlaß kam zunächst das
Dankgesühl des Monarchen gegenüber dem hervorragendsten und verdientesten Diener
des Reiches nochmals zu ergreisendem Ausdruck. Aber auch die ganze Staats= und
Weltanschauung Kaiser Friedrichs, das Programm, das er bei längerem Leben in
seiner Negierung durchgeführt haben würde, tritt hier in den edelsten Umrissen und
in seinen eigenen Worten zu Tage umd entwirft von ihm ein wesentlich anderes, ja
ein bedentenderes geschichtliches Charakterbild, als die Parteilegende, namentlich die
deutschfreisinnige, vor und nach seiner kurzen Regierung von ihm zu zeichnen liebte.
Deshalb müssen die Hauptsätze dieses Erlasses hier mitgeleilt werden. Sie lanten:
„Mein lieber Fürst! Bei dem Antritt Meiner Regierung ist es Mir ein Bedürfnis, Mich an
Sie, den langjährigen vielbewährten ersten Diener Meines in Gott ruhenden Herrn Vaters, zu
wenden. Sie sind der treue und mutvolle Ratgeber gewesen, der den Zielen seiner Politil die
Form gegeben und deren erfolgreiche Durchführung gesichert hat. Ihnen bin Ich und bleibt Mein
Hans zu warmem Dank verpflichtet. Sie haben daher ein Recht, vor allem zu wissen, welches
die Gesichtspunkie sind, die für die Haltung Meiner Regierung maßgebend sein sollen.
„Die Verfassungs= und Rechksordnungen des Reiches und Preußens müssen vor allem in
der Ehrfurcht und in den Sitten der Nation sich besestigen. Es sind daher die Erschütterungen
zu vermeiden, welche hänsiger Wechsel der Staatseinrichtungen und Gesetze veranlaßt. Die För-
derung der Aufgaben der Reichsregierung mus# die fesien Grundlagen unberührt lassen, auf denen
biöher der preußische Staat sicher geruht hat. Im Reiche sind die verfassungsmäßigen Rechte der
verbündeten Regierungen ebenso gewissenhaft zu achten wie die des Neichstags; aber von beiden
ist eine gleiche Achtung der Rechte des Kaisers zu erheischen. Dabei ist im Auge zu behalten, daß
diese gegenseitigen Rechte nur zur Hebung der öfsentlichen Wohlfahrt dienen sollen, welche das
oberste Gesetz bleibt, und daß neu hervorkrekenden unzweifelhaften nationalen Bedilrfnissen stets
in vollem Maße Genüge geleistet werden muß. Die nolwendige und sicherste Bürgschaft für un-
geslörte Förderung dieser Aufgaben sehe Ich in der ungeschwächten Erhaltung der Wehrkrast des
Landes, eines erprobten Heeres und der aufblühenden Marinc, der durch Gewinnung überseeischer
Besitzungen ernste Pflichten erwachsen sind. Beide müssen jederzeit auf der Erhöhung der Aus
bildung und Vollendung der Organisation erhalten werden, welche deren Ruhm begründet hal
und deren fernere Leistungsfähigkeit sichert.
„Ich bin entschlossen, im Reiche und in Preußen die Regierung in gewissenhafter Beobach
tung der Bestimmungen von Reichs- und Landesverfassung zu führen. Dieselben sind von Mei
nen Vorfahren auf dem Thronc in weiser Erkenntnis der unabweisbaren Bedürfnisse und zu
tösenden schwierigen Aufgaben des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens begründet worden
und müssen allseitig geachtet werden, um ihre Krast und segensreiche Wirkung bethätigen zu kön-
nen. Ich will, daß der seit Jahrhunderten in Meinem Hause heilig gehallene Grundsag religiöser
Duldung auch serner allen Meinen Unterthanen, welcher Religionsgemeinschaft und wetchem Be-
kenntnisse sie auch angehören, zum Schuzze gereiche. Ein jeglicher unter ihnen steht Meinem Herzen
gleich nahe. Haben doch alle gleichmäßig in den Tagen der Gefahr ihre volle Hingebung gewährt.
„Einig mit den Anschauungen Meines kaiserlichen Herrn Valers, werde Ich warm alle
Bestrebungen unterstützen, welche geeignet sind, das wirtschaftliche Gedeihen der verschiedenen