Full text: Unsere Sozialdemokratie im Spiegel der ersten französischen Revolution.

14 Unsere Sozialdemokratie 
Ein Jahrhundert wahnsinniger Verschwendung an dem 
Hofe von drei Königen hatte eben alle französischen Adels- 
familien, mit Ausnahme von 200 bis 300, vollkommen ruiniert. 
Es gab viele Adelsgeschlechter, sagt Taine, deren Stammbaum 
bis zu den Kreuzzügen hinaufreichte, welche für sich und ihr 
Gesinde zusammen im ganzen Jahre nicht mehr zu verzehren 
hatten, als 25 bis 50 Louisdors, also 400 bis 800 Mark, oder nach 
heutigem Geldwert etwa 1600 bis 3200 Mark. Die Wahrheit 
dieser Thatsachen wird auch durch ein Ereignis aus viel späterer 
Zeit bestätigt. Bekanntlich wurden nämlich später die sämtlichen 
adligen Güter in Frankreich, welche den sogen. „Emigranten“, 
d. h. den vor den Schrecken der Revolution ins Ausland ge- 
flohenen Edelleuten gehörten, von der revolutionären Regierung 
ohne Entschädigung eingezogen. Aber nach Wiederherstellung 
des Königtums im Jahre 1815 wurden die überlebenden oder 
die Nachkommen derer, welchen einst die Güter weggenommen 
worden waren, nach dem Kapitalwert des Gutes bei der Ent- 
eignung, im Jahre 1826 vom Staate voll entschädigt. Sehr 
viele der so Entschädigten erhielten damals nicht mehr als 5000 
bis 6000 Franken (4000 bis 4800 Mark) — so tief hatten sie 
und ihre Voreltern den Wert der adligen Güter durch ihre 
grenzenlose Verschwendung heruntergebracht. 
Man kann sich denken, daß ein so verarmter und ohn- 
mächtiger Adel, dessen ehemalige politische Bedeutung schon seit 
Ludwig XIV. vollständig vernichtet war, da er an den Staats- 
geschäften keinen Anteil und kein Interesse mehr hatte, und 
ebensowenig an der Bewirtschaftung seiner Güter, vielmehr nur 
Sinn für höfischen Prunk, Sinnengenuß und Jagd, daß ein 
solcher Adel durchaus keinen festen Damm bot gegen die heran- 
dringenden Wogen der Revolution. Und zwar umsoweniger, 
als diese Sturmflut sich zuerst gegen die adligen Schlösser und 
Gutsherren selbst kehrte. Schon jahrzehntelang vor dem Aus- 
bruch der Revolution hatte der unglückliche Pächter, Meier und 
Unterthan das adlige Schloß und dessen Insassen nur mit 
Blicken der Wut und Verzweiflung betrachtet, und dabei ent-
	        
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