Full text: Unsere Sozialdemokratie im Spiegel der ersten französischen Revolution.

im Spiegel der ersten französischen Revolution. 35 
zweiflung und Rechtlosigkeit der Massen, dieselbe Aufwiege- 
lung derselben zur Empörung, zur gewaltsamen Umwälzung 
alles Bestehenden kraft des in jedem Bedrückten schlummernden 
unveräußerlichen Naturrechtes des Menschen! 
IV. 
Verfolgen wir nun') die Nutzanwendung dieser Lehre 
in Staat und Gesellschaft zur Zeit der ersten franzö- 
sischen Revolution. 
Wir sahen: der Sozialvertrag, welchen, nach Rousseaus 
Meinung, Narren und Besiegte vor tausend Jahren mit Be- 
trügern und Unterdrückern geschlossen haben, und welcher die 
OQuelle alles bestehenden Elends geworden, ist nichtig, zerrissen, 
da das Volk zum Alter der Vernunft gelangt ist. Da aber 
alles Recht, wie er annimmt, nur durch die gemeinsame über- 
einstimmung aller zu stande kommen kann, und da Staat und 
Gesellschaft nur auf dem Boden des Rechtes bestehen können, so 
muß ein neuer Sozialvertrag geschlossen werden. Als Ver- 
tragschließende denkt sich nun Rousseau lauter Menschen von 
dem einfachen Wesen seiner Urmenschen, Menschen von 21 Jahren, 
ohne Eltern, ohne Vergangenheit, ohne überlieferung, ohne Ver- 
pflichtungen, ohne Vaterland — ganz wie unsere Sozialdemo- 
kraten —, sie versammeln sich zum erstenmal und schließen zum 
erstenmal einen Vertrag. In diesem Zustande und im Augen- 
blicke dieses Vertragsschlusses sind alle gleich und frei. Da alle 
gleich sind, so besteht auch kein Grund mehr, daß sie in ihrem 
Vertrage dem einen oder dem andern Vorrechte zugestehen. So 
werden auch in Zukunft alle gleich sein vor dem Gesetz; keine 
Person, Familie, Klasse wird ein Vorrecht haben; keiner ein 
Recht, dessen ein anderer beraubt wäre; keiner hat eine Last zu 
tragen, von welcher ein anderer befreit wäre. Da aber auf der 
anderen Seite auch alle frei sind, tritt jeder mit seinem eigenen 
Willen ein in den Bund von gemeinsamen Willen, welche die 
*) An der Hand von Taine Bd. I S. 304 ff. 
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