Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

142 Zweiter Teil: Organisation des Bundes. 
Bezüglich der Zeugnispflicht (s. Sten. Ber. 1886, II S. 1399). 
Unter Abstimmung oder Aeußerung versteht man sowohl das 
eigentliche wörtliche Sprechen oder Aeußern als auch das schriftliche 
und gedruckte oder durch andere Zeichen (Aufstehen, Sitzenbleiben, 
Enthalten, Stillschweigen, d. h. keinen Widerspruch erheben) (Sten. 
Ber. 1895, S. 946). Ebenso Beifall= oder Mißfallkundgebungen, Unter- 
brechungen u. dergl. Auch gehören unter diesen Begriff die Stellung 
und Begründung von Anträgen und die Berichterstattungen, überhaupt 
jedes Wortführen. 
Diese Grundsätze gelten nicht blos gegenüber dem Plenum 
sondern auch gegenüber den Abteilungen und Kommissionen des Reichstogs. 
Persönliche Machtmittel stehen dem einzelnen Abgeordneten recht- 
lich nicht zu, vielmehr entscheidet über seine Handlungen oder Unter- 
lassungen, d. h. über den Schutz des einzelnen Mitgliedes und über 
das Maaß dieses Schutzes der Reichstag ganz nach seinem Ermessen. 
Er kann den Schutz auch verweigern. 
Das Reichsgericht hat in Ansehung der Immunitätsfrage in den 
Urteilen vom 5. März 1881, Bd. 4 S. 15 f. und vom 23. Februar 1882, 
Bd. 4 S. 183 dahin entschieden: 
„daß nach deutschem Reichsrecht die Volksvertretungen „für 
ihre im Berufe gethanen Aeußerungen einerseits den Gerichten nicht 
verantwortlich, andererseits dem Strafgesetz nicht unterworfen seien, 
daß folgeweise der Strafrichter außer Stande sei, eine parlamen- 
tarische Aeußerung, welche an sich alle Merkmale einer im Straf- 
gesetzbuch mit Strafe bedrohten Handlung aufweise, als ein straf- 
rechtliches Vergehen rechtlich zu qualifizieren und so ein gerichtliches 
Urteil über sie abzugeben.“ 
Das Recht der Immunität dauert vom Tag der Erklärung des 
Abgeordneten, daß er die Wahl annehme bis zum Verlust des Mit- 
gliedschaftsrechts und kommt ihm auch zu gut, wenn seine Wahl je 
später für ungültig erklärt werden würde und zwar bis zu dieser 
Erklärung. 
II. Der außerberufliche Schutz. 
Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied desselben 
während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Hand- 
lung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es 
bei Ausübung der That oder im Laufe des nächstfolgenden Tages er- 
griffen wird (Sten. Ber. 1892/1893, S. 1945 und 2018, 1874 S. 267). 
Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden 
erforderlich. 
Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen 
ein Mitglied desselben und jede Untersuchungs= oder Ziovilhaft für die 
Dauer der Sitzungsperiode aufgehoben (Reichs-Verfassung Art. 31: Er- 
kenntnisse des Reichsgerichts vom 25. Februar 1892, S. 379, 24. Juni 1892,
	        
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