108 Sachsen während des Befreiungskriegs von 1813.
hatte es nur entfernt so schnöde Mißhandlungen wie Preußen,
eher Großmuth und Schonung von Napoleon erfahren; den-
noch war das Gefühl der Scham über das unwürdige Ver-
hältniß, in dem man stand, von Jahr zu Jahr tiefer gedrungen
und die Zahl der unbedingten Franzosenfreunde verschwindend
tlein 1). Die Regierenden verhehlten sich die im Volke herr-
schende Stimmung nicht, sie sahen voraus, daß es mit der
französischen Herrschaft über Deutschland zu Ende sei, und sie
begegneten sich fast ohne Ausnahme in der Sehnsucht nach Ab-
schüttelung der Fesseln. „Es ist eine Gefangenschaft, kein
Bündniß, aus dem wir uns befreien wollen“, schrieb damals
einer der tüchtigsten von ihnen 2) einem Freund; „es ist Pflicht,
Menschen-, Bürger= und Staatsdienerpflicht, zu sorgen und zu
wachen, daß das Ende der gesegneten Regierung eines ehr-
würdigen Fürsten nicht sei, daß er die Liebe des Volks und
sein Land verliert, indem er sich vor dem Bösen nicht zu
retten wagt, das ihn gefangen hält.“ Aber von der Erkenntniß
zur That war ein weiter Schritt. Gewohnt dem Beispiele
Anderer zu folgen, sollte jetzt Sachsen zuerst vor allen Rhein-
bundstaaten sich erklären, es sollte ein Entschluß gefaßt werden,
eine Sache, deren man sich seit 1806 gänzlich entwöhnt hatte.
Der 62jährige König, ängstlich zurückweichend vor allem, was
aus dem gewöhnlichen Geleise heraustrat, von Napoleon über-
wältigt, von einem Manne wie Marcolini, der für jede höhere
Empfindung, für alles, was Begeisterung hieß, nur Mitleiden
hatte, beeinflußt, war nicht gemacht, Anderen einen kräftigen
Anstoß zu geben. Hierzu kam, daß ein Anschluß an Preußen
weder ungefährlich war, so lange sich dessen Kraft noch nicht
erprobt hatte, so lange das übrige Deutschland noch zu Na-
poleon hielt, dieser selbst an der Spitze eines neuen Heeres im
1) Die muthigen Kundgebungen des Prof. Krug in Leipzig, sein
gegen die Franzosen aufreizendes Gaudeamus, seine Aufruse „An Sach-
sens streitbare Jugend“ und „An Sachsens König“ fanden in vielen
Herzen freudigen Wiederhall.
2) Der Geh. binennath v. Zezschwitz, Mittheilungen eines sächsischen
Staatemannes, S. 200