Full text: Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen. Dritter Band: Neuere Geschichte Sachsens von 1806-1866. (3)

236 Das fremde Gouvernement und der wiener Congreß. 
Der berliner Arzt Reil, der aus reiner Menschenliebe herbei- 
eilte um die oberste Leitung der Spitäler zu übernehmen, 
richtete unter dem ersten Eindruck dessen, was er sah, einen 
hernerreißenden Nothschrei um Abhilfe an Stein 1); Arndt, 
welcher einige Tage nach der Schlacht nach Leipzig kam, fühlte 
sich an die Schauderscenen von Wilna erinnert. Die Verhee- 
rungen des Typhus verbreiteten sich aus den Lazarethen in 
die Stadt, dennoch ermüdete die Menschlichkeit und Wohlthä- 
tigkeit der Einwohner nimmer und, der Angsten und Röthe um sich 
selbst vergessend, halfen und retteten sie, soviel sie konnten?). 
Unter der energischen Beihilfe des Stadtcommandanten Oberst 
Prendel wurden die schleunigsten Maßregeln ergriffen um die 
Lazarethe zu räumen, die Kranken unterzubringen und die Stadt 
zu reinigen. 
Wenn auch nicht in gleichem Maße, so war doch auch der 
Zustand des übrigen Landes schrecklich genug. Noch von den 
Anstrengungen und Opfern des vorjährigen Feldzugs erschöpft, 
war es, mit Ausnahme etwa von Thüringen, seit dem Früh- 
jahr ununterbrochen Schauplatz des Kriegs oder Standort 
ungeheurer Heeresmassen gewesen. Mehrere Provinzen waren 
fast gänzlich verheert, viele Orte rein ausgeplündert, abgebrannt 
oder die Häuser zu Wachtfeuern abgetragen, die Einwohner ge- 
flüchtet und zerstreut, der Viehstand vernichtet, kein Getreide 
zur Aussaat und Brödung, in allen Landestheilen pestartige 
1) Pert III, 437. V#gl. dazu Groß' Widerlegung von Reils Über- 
treibungen in: Grenzboten 1848 II, 41f. 6 
2) Arndt, Nothgedrungener Bericht, S. 217. „Das war auch 
Deutschland“, setzt er hinzu, „und das allerbeste Deutschland.“ Nach 
Clarus belief sich die Zahl der Typhuskranken unter den Bewohnern von 
Leipzig im Jahre 1813 auf 13795, 1814 auf 5110. Ihren Höhepunkt 
erreichte die Epidemie im December 1813. — Die vom 16. October 1813 
bis 21. Januar 1814 in Leipzig begrabenen Cioilpersonen beliefen sich bei 
einer Bevölkerung von 33000 Seelen auf 3499; die begrabenen Militär- 
personen durften nicht mitgezählt werden. Naumann, Aus dem Jahre 
1813 (1869), S. 41. Die Gesamtzahl der vom Mai 1813 bis 1. April 
1815 in den leipziger Lazarethen Verpflegten betrug 102690, der Ver- 
storbenen 5587, allein im October 1813 die Zahl der Kranken 31000.
	        
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