Die sächsische FKrage auf dem Congreß. 295
Schicksal nur die Gesamtheit des Congresses zu entscheiden habe,
immer heftiger wurde 1). Bei absichtlich ergriffener Gelegenheit
untersagte der König von Baiern im Beisein der ersten fremden
Minister dem Fürsten Wrede irgend etwas zu unterzeichnen,
bevor die sächsische Sache günstig entschieden sei, und derselbe
Graf Münster, der vor wenigen Monaten an Stein geschrieben
hatte, man müsse den König von Sachsen nicht achten sondern
öchten, versicherte jetzt dem Könige von Baiern, daß er sich
nun nicht mehr über seine Lauigkeit in Bezug auf Sachsen
beklagen solle sondern daß er eine stärkere Sprache führen
wolle als der bairische Marschall selbst.
Diese Kundgebungen blieben nicht ohne Eindruck auf das
österreichische Cabinet, sie trieben Metternich, bestimmter mit
der Sprache herauszugehen. „Je mehr“, versicherte er dem
Grafen Münster, „ÖOsterreich in der polnischen Sache nachgebe,
desto weniger könne es dies in Bezug auf Sachsen, da die
erfahrensten Militairs der Ansicht seien, daß Böhmen verloren
und das Centrum der Monarchie gefährdet sei, wenn sie gleich-
zeitig von Krakau und von Dresden aus bedroht würden, und
am 11. November erklärte er Castlereagh und Hardenberg,
ohne sich dem bittersten Tadel auszusetzen könne er weder die
polnische noch die sächsische Sache aufgeben; dem Könige von
Sachsen müsse wenigstens ein Theil seines Landes mit Dresden
und einer halben Million Einwohner verbleiben. Damit war
also die Theilung Sachsens, bis dahin nur unbestimmt
und vorübergehend angedeutet, definitiv als Osterreichs Pro-
gramm hingestellt. Mit vieler Bereitwilligkeit eignete sich
Talleyrand dasselbe an, theils aus Rücksicht auf Englands Be-
denklichkeiten, theils weil er sich sagte, daß, einmal den Grundsatz
der Erhaltung des Königs von Sachsen zugestanden, über das
Maß des Abzutretenden und des ihm zu Belassenden sich weiter
werde verhandeln lassen. Auch Münster und Wrede pflichteten
bei; ersterer übernahm es Hardenberg zu überzeugen, um wieviel
1) Denkschrist Über die Betreibung der sächsischen Angelegenheit bei
dem Congreß zu Wien, Berlin, 26. December 1814. Dr. Arch.