Auflöfung der Kammern. Die Relchsverfaffung. 615
verfassung nicht anerkannt sei, keinen Gebrauch zu machen,
und durch ihr Zusammentreffen mit den Kammerauflösungen
in Berlin und Hannover, welches auf einen gemeinsamen Plan
der Regierungen schließen ließ, eine besondere Bedeutung erhalten.
Der finanzielle Conflict verschwand hinter dem wahren Grunde,
der Weigerung des Königs, die Reichsverfassung anzuerkennen.
So kam es, daß mit Ausnahme der äußersten Rechten sich
alle Parteien gegen die Regierung erklärten, daß auch von dem
besten und loyalsten Theile der Bevölkerung Viele sich dem
Sturm auf das Ministerium und den König anschlossen, um
in ähnlicher Weise wie im März 1848 und, wie es jetzt bereits
in 28 Staaten, zuletzt noch in Würtemberg geschehen war,
auf friedlichem Wege dem Könige die Anerkennung abzuringen,
durch die Zustimmung der Fürsten auch den König von Preußen
zur Annahme der Kaiserkrone zu bewegen uud so die Einheit
Deutschlands zu erobern, die allein im Stande schien, den gähnenden
Schlund der Revolution zu schließen. Ihr Bemühen scheiterte
an der Widerstandskraft der Regierung und trug daher nur dazu
bei das Gewicht der revolutionären Elemente zu verstärken und
der ultrademokratischen Partei in die Hände zu arbeiten, für
welche die Reichsverfassung nichts war als der Übergang
zur Republik. Seltsam und bedenklich mußte es freilich er-
scheinen, daß dieselben Leute, die gestern noch die Reichsver-
fassung mit Koth beworfen und alles gethan hatten um sie
unmöglich zu machen, heute plötzlich Gut und Blut für sie
einzusetzen aufforderten. Aber es war schwer diese Gemein-
schaft abzuweisen, wollte man nicht ganz auf das Werk des
frankfurter Parlamentes verzichten, und die verwegenen Führer
der republikanischen Partei säumten nicht die Gunst des Augen-
blicks für sich auszubeuten. Tzschirner und Helbig (Bürger-
meister von Borna) eilten unmittelbar aus der Kammer nach
Leipzig um das niedere Volk zum Widerstande gegen das
volksfeindliche Ministerium aufzurufen, richteten jedoch nichts
aus. Von Dresden aus erließen 12 Abgeordnete der Linken,
30. April, eine Protestation gegen jede Erhebung und Ver-
wendung nichtt verfassungsmaßig verwilligter Steuern, eine Er-