Liberalere Wendung. Reform des Wahlgesetzes. 719
gesetzgebung fuͤr die Unterscheidung des ritterschaftlichen von dem
nicht ritterschaftlichen Grundbesitze alle inneren Merkmale fehlten,
sich überlebt habe, war einleuchtend genug. Trotzdem bewegte sich
der vom Abgeordneten Ohmigen eingebrachte Antrag auf Reform
des Wahlgesetzes in so überaus bescheidenen Grenzen, daß der Ab-
geordnete Jungnickel sich dadurch veranlaßt sah, einen schon
beim vorigen Landtage von ihm gestellten, damals aber nicht
zur Berathung gelangten Antrag auf Wiederaufnahme des 1850
unerledigt gebliebenen Wahlgesetzes von neuem einzubringen.
Hierdurch wurden jedoch auf Seiten der Regierung wie in der
Kammer selbst sehr unliebsame Erinnerungen geweckt. „Richtig
sei es allerdings“, erklärte Minister v. Friesen, „daß dieses
Wahlgesetz seinerzeit von dem gegenwärtigen Ministerium selbst
vorgelegt worden sei; aber wenn in dieser Beziehung etwas
der Rechtfertigung bedürfe, so sei es gewiß nicht dies, daß die
Regierung nicht mehr auf dem Standpunkt von 1849 stehe
und daher jenen Entwurf jetzt verwerfe, sondern das, daß es
jemals eine Zeit gegeben habe, wo sie einen solchen Entwurf
vorgelegt habe“, und nicht ohne Ironie verwahrte sich Beust
gegen den Vorwurf, als habe die Regierung ein gegebenes
Versprechen uneingelöst gelassen, da dies ja durch die Vorlage
von 1850 vollständig geschehen sei und die Stände seitdem trotz
mehrmals naheliegendem Anlaß nicht auf das Verlangen einer
Anderung zurückgekommen seien, worauf die Kammer die Er-
laubniß zur Wiedereinbringung des Wahlgesetzes von 1849
gegen 12 Stimmen verweigerte, ein Beschluß, auf den die
kundgegebene Absicht der Regierung, chrerseits ein abgeändertes
Wahlgesetz vorzulegen, nicht ohne Einfluß geblieben war.
Nach dem Entwurfe, mit dem sie bald darauf hervortrat,
sollte die erste Kammer durch drei lebenslängliche, vom Könige
nach freier Wahl ernannte Mitglieder verstärkt werden, die
zweite statt der bisherigen fünf Vertreter des Handels= und
Fabrikstandes deren zehn erhalten, das Stimmrecht auch den
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Gesellen und Dientleute 26000 Steuerpflichtige, von denen nur 2183 die
active und 1168 die passive Wählbarkeit hatten.