Sachsen als Wiege der Reformation. 41
selbst anfangs der Tragweite dessen, was er unternahm, nicht
bewußt war, diesem war es vorbehalten, die große entscheidende
Bewegung einzuleiten und ihre Führung zu übernehmen.
Wenn man nach den Ursachen sucht, welche gerade die sächsi-
schen Länder fähig und geschickt machten, die Bildungsstätte des
großen Reformators und die Wiege seines Werkes zu werden,
so wird man bekennen müssen, daß sich aus dem Wesen und
Charakter ihrer Bewohner, des sogenannten obersächsischen
Stammes, eine genügende Erklärung kaum ergiebt. Ernst des
Lebens, vorwiegender Haug zur Untersuchung und Speculation,
Arbeitsamkeit und Nüchternheit bei sparsamer Natur sind nicht
ihnen eigenthümliche Eigenschaften, sondern gemeinsame des nord-
deutschen Volkes überhaupt. Tiefe religise Erregbarkeit, Hin-
neigung zur Mystik liegen dem praktisch-verständigen Sinn dieses
Stammes fern, die literarische Rührigkeit der Oberdeutschen,
die der Ausbreitung der Reformation so energisch vorarbeitete,
hat hier keine Nachahmung gefunden, und nach der entschieden
feindlichen Stellung, die diese Länder gegen die hussitische Re-
formbewegung eingenommen, ließ sich von ihnen eher Abneigung
gegen kirchliche Neuerungen erwarten. Die kirchlichen Übelstände
treten hier nicht schlimmer, das Bedürfniß nach ihrer Abstellung
nicht lebendiger hervor als überall; doch darf man beides we-
nigstens nicht allzugering anschlagen. Schon in Wilhelms III.
Landesordnung war auf die sehr verfallene Kirchenzucht bei den
geistlichen Orden und bei der Weltgeistlichkeit Rücksicht genom-
men, sowic auch Kurfürst Friedrich II. schon bei dem baseler
Koncil um Abstellung vieler Mißbräuche unter seiner Geistlich-
keit nachgesucht hatte. Wie die sächsischen Bisthümer durch die
Erpressungen der Legaten litten, ist oben angeführt worden.
Unter dem Namen des Ablasses wurden die frommen Seelen
unablässig besteuert, oft angeblich zum Besten der Griechen oder
zum Türkenkriege, aber seufzend erzählte sich 1490 in Thüringen
das Volk, daß der apostolische Legat Naimund aus den ver-
kauften Indulgenzen 41,000 Goldgulden dem Papste zur Aus-
steuer seiner Tochter nach Rom gebracht habe. 1) Die Gaunerei
1) Nic. de Siegen, p. 482.