Full text: Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen. Erster Band: Von den frühesten Zeiten bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. (1)

466 Kirchliche Unruhen in Zwickau und Wittenberg. 
denklich ernsthaften Charakter an, seitdem der Augustiner Gabriel 
Didymus und Andreas Bodenstein oder Karlstadt, mehr 
Schwärmer als gelehrte Theologen, sich an die Spitze stellten. 
Kein Wunder, wenn bei der allgemeinen geistigen Bewegung 
man leicht von einem Extrem ins andere fiel, wenn sich an 
die Reformation Erscheinungen anreiheten, die ebensowenig 
nothwendig von ihr bedingt als ihr eigentlich zur Last zu legen 
waren. Die erste Anregung dazu kam von Zwickau, wo der 
Tuchmacher Nicolaus Storch sich mit 12 Aposteln und 72 
Jüngern umgab, Stübner, Thomä, Kellner und Andere eine 
Secte bildeten, der selbst der gelehrte Schein nicht gebrach, die 
die Kindertaufe verwarf, die Bibel für unzulänglich erklärte, 
sich unmittelbarer Eingebungen des göttlichen Geistes rühmte 
und das tausendjährige Reich verkündigte. Thomas Münzer, 
seit 1520 Prediger an der Marienkirche daselbst, nahm ihre 
Partei, wie wenig er auch an ihr Prophetenthum glaubte; aber 
er dachte sie als Werkzeuge für die revolutionären Pläne zu 
brauchen, mit denen er sich schon damals trug. Der Kurfürst, 
in Zweifel, ob aus ihnen nicht wirklich der göttliche Geist rede, 
scheute sich gegen sie einzuschreiten. Aber der würdige Pfarrer 
Nicolaus Hausmann und, da sie Gewalt anzuwenden drohten, 
auch der Amtmann Wolf von Weißenbach traten ihnen ent- 
gegen; verhafteten die Einen, vertrieben die Andern. Diese 
zwickauer Propheten wendeten sich nach Wittenberg, schlossen 
sich hier an Karlstadts Haufen an, lobten deren Eifer „Babel 
zu zerstören und das Reich Christi mit Gewalt herbeizureißen“. 
Wer ihnen nicht unbedingt beifiel, wurde Götzendiener, 
Baalsanbeter, Anhänger des Antichrists gescholten. Mitten in 
den Weihnachtsfeiertagen wurden auf einmal alle Überbleibsel 
des Papismus, eine Menge liturgische Gebräuche, die Erhebung 
der Hostie, die Beichte und Vorbereitung zum Abendmahle 
abgeschafft, dieses selbst sub utraque genossen, die Altäre, 
Bilder, Statuen in den Kirchen zerstört. Man schien sich in 
die Ikonoklasie des 8. Jahrhunderts verirrt zu haben. 
Ganz im Geiste der himmlischen Propheten verwarf Karl- 
stadt alle Gelehrsamkeit, wurde selbst in einem nahen Dorfe 
ein Bauer und führte Holz zu Markte, dem Schriftworte zu
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.