Full text: Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen. Zweiter Band: Von der Mitte des sechzehnten bis zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. (2)

Kirchlicher Zwiespalt. 39 
und zu der einerseits die überwältigende, durch das neu er- 
schlossene Bibelstudium zu Tage geförderte Masse theologischen 
Lehrstoffes, anderseits die mit dem Wiedererwachen der classischen 
Studien ausgekommene kritische Methode hindrängte. Zugleich 
erwachte aber auch eine Polemik, welche in ihrem übereifrigen 
Streben nach strenger Fixirung der einzelnen Lehrpunkte Zeug- 
niß davon gab, wie rasch der lebendige Glaube, aus welchem 
die Reformation selbst einst entsprungen war und den besten Theil 
ihrer Kraft geschöpft hatte, zu entweichen begann. Daß ferner 
der augsburger Religionsfricde Freiheit des. Bekenntnisses nur 
den Reichsständen, nicht aber den einzelnen Unterthanen ge- 
geben und dadurch den Landesfürsten zum Gebieter über die 
Gewissen seiner Unterthauen, namentlich auch über die Theologie 
seiner Universitäten gemacht hatte, erzeugte jenen kirchlichen 
Territorialismus, in dessen Fesseln die Gestaltung der Kirche 
ebenso erstarrte wie in denen des politischen Territorialismus 
die Bewegung des nationalen Lebens. Schon bei Luthers Leb- 
zeiten hatten sich innerhalb des Protestantismus zwei Haupt- 
richtungen herausgebildet, die, in ihm selbst und seinem großen 
Gehilfen Melauchthon verkörpert, namentlich in der Lehre vom 
Abendmahl ihren Ausdruck fanden; aber doch hielt man im 
allgemeinen fort und sort an der innigen Zusammengehörigkeit 
der beiden Reformatoren fest; die augsburger Confession in 
Melanchthons Überarbeitung von 1540 und 1542 galt als 
das Bekenntniß der cvangelischen Stände. Gerade hierin be- 
kundet sich jedoch auch schon das Übergewicht, welches die Auf- 
fassung Melanchthons über die Luthers allmählich erlangte. 
Nur fehlte ihm die herrische Kraft, mit der dieser den Partei- 
geist und andere störende Einflüsse von seiner Sache fernzu- 
halten gewußt hatte. Wie hoch auch sein literarisches Ansehen 
stand, es reichte nicht aus, um die Geister zu beherrschen, und 
je mehr sich seine liberzeugung bei fortgesetzter Forschung in 
manchen Stücken von Luthers Lehre entfernte und zu der der 
Schweizer hinneigte, desto weniger fühlte er in sich die Festig- 
keit, um als Führer der protestantischen Kirche aufzutreten. 
So kam es, daß gegen die von Melanchthon ausgehende theo-
	        
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