Full text: Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen. Zweiter Band: Von der Mitte des sechzehnten bis zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. (2)

Schule und Kirche. 60 
Auch die Kirche verschloß sich dieser von dem Zeitgeiste 
geforderten Humanität nicht; sie streifte die alte Schroffheit 
und Intoleranz der Orthodoxie ab. Im Jahre 1764 wurde 
den Reformirten freie Religionsübung verstattet, worauf sie 
seit 1767 ihren Gottesdienst in deutscher Sprache statt wie 
bisher französisch zu feiern begannen. Als der wittenberger 
Professor Georgi den Prediger der reformirten Gemeinde zu 
Leixzig L. G. J. Zollikoser mit Bezug auf das von demselben 
herausgegebene Gesangbuch als Socianer und den Dichter Weiße 
als Kryptocalvinisten denuncirte, erntete er dafür nur einen 
Verweis vom Kirchenrathe. Herrschende Religionsansicht wurde 
ein aus der kantischen Philosophie hervorgegangener gemäßigter 
Supranaturalismus, der den Unterschied der Confessione enig 
betonte und sich nicht selten zum trivialen Rationalismus ver- 
flachte, wic er sich in der Vernüchterung der alten Gesangbücher 
ausprägte; nur in einzelnen Adelsfamilien erhielt sich ein 
herrnhutischer Zug. Als Hauptvertreter der rationalistischen 
Richtung können die beiden Superintendenten J. A. H. Titt- 
mann zu Dresden und J. G. Rosenmüller zu Leipzig gelten, 
beide als Menschen ehrenwerth und als Geistliche von ihren 
Zeitgenossen hochgeachtet; letzterer namentlich gab die Anregung 
zu zeitgemäßer Fortbildung des Gottesdienstes durch völlige 
Beseitigung des Exorcismus und des Wandlungsglöckchens, 
verbesserte Kirchengebete und Anordnung der allgemeinen statt 
der Privatbeichte; durch ihn, dessen Verdienste um das leipziger 
Volksschulwesen unvergessen sind, wurde auch die seit Spener 
schon aun manchen Orten übliche öffentliche und feierliche Con- 
firmation allgemeiner 1). Eine weit bedeutendere und zugleich 
unabhängigere Stellung nahm der 1792 als Nachfolger des 
greisen Hermann zum Oberhofprediger berufene geistvolle Frz. 
1) Die äußere Verfassung der protestantischen Kirche blieb unverän- 
dert bestehen. Die kirchliche Statistik wies 77 Juspectionen und Super- 
intenduren, 2833 Orte mit Kirchen nach. Unter dem dresdner Consistorium 
standen 12 Syuperintenduren und b588 Pfsarren, unter dem leipziger 22 
Superintenduren und 1029 Pfarren; unter dem wittenberger 18 Superinten- 
duren und 387 Parochien; Wurzen mit 21 Parochien; Eisleben mit 8 De- 
Böttiger, Geschichte Sachsens. 2. Aufl. II. 44
	        
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