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V. Abschnitt:
Die Funktionen des Staates.
I. Kapitel: Die Gesetzgebung.
§ 65. Begriff der Gesetzgebung.
Die Tätigkeit des Bremischen Staates erscheint in der üblichen
Dreiteilung: Gesetzgebung, Rechtspflege, Verwaltung.
Das Prinzip der Teilung der Gewalten (Montesquieu), nach
dem jede dieser drei Funktionen einem andern Subjekt zur Ausübung
zustehen soll, ist in dem Bremischen Staat nicht durchgeführt: Gesetz-
gebung und Verwaltung werden von Senat und Bürgerschaft gemein-
schaftlich ausgeübt. Auch die Gesetzgeber von 1849, die sonst die
Schlagworte der Zeit nicht übergingen, haben dieses Prinzip nicht
aufgenommen.
Die Gesetzgebung — „Erlassung, authentische Auslegung, Ab-
änderung und Aufhebung von Gesetzen“ — gehört zur gemeinschaft-
lichen Wirksamkeit von Senat und Bürgerschaft (Verf. § 58.)).
Publikation der Gesetze ist Sache des Senats (Verf. § 571).
Man unterscheidet heute Gesetzgebung im materiellen
und im formellen Sinne. Im materiellen Sinne ist Gesetz-
gebung Schaffung von Rechtssätzen, Aufstellen von Befehlen, welche
in den Rechtszustand eingreifen und damit die Handlungsfreiheit be-
stimmen. Im formellen Sinne ist Gesetz jeder Staatsakt, der in
Form des Gesetzes erscheint. Der Begriff des formellen Gesetzes hat
sich gebildet in den konstitutionellen Staaten, in denen die materielle
Gesetzgebung das A und O für die Mitwirkung der Volksvertretung
war; hier wurde Gesetzgebung die Bezeichnung der Form und der
Weg der Gesetzgebung die Form aller Staatsakte, bei denen die
Volksvertretung mitwirkt. Die Reichsverfassung läßt den Reichs-
haushaltsetat durch ein Gesetz festgestellt werden (R. Verf. Art 69)
und sagt damit, daß die Feststellung im Wege der Gesetzgebung unter
Mitwirkung des Reichstages erfolgen soll.