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zu prüfen, ob das Landesgesetz mit dem Inhalt eines Reichs-
gesetzes in Widerspruch steht; nach der Reichsverfassung Art. 2
gehen Reichsgesetze den Landesgesetzen vor; bei Kollisionen hat der
Richter erstere zur Anwendung zu bringen.:)
Am meisten Schwierigkeit macht die dritte Art der möglichen
Kollisionen von Gesetzen verschiedener Kraft, der Widerstreit zwischen
der Verfassung und einem gewöhnlichen Gesetz. Hat der Richter
die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zu prüfen? Während
bei der Kollision von Reichsgesetz und Landesgesetz, von Gesetz und
Verordnung ein höherer Wille dem untergeordneten gegenüber Geltung
verlangt, kollidieren hier Willensakte ein und desselben Organs in
verschiedener Form. Hat die Verfassungsbestimmung hier Kraft und
Bedeutung, daß sie das von demselben Gesetzgeber beschlossene Gesetz,
wenn der Richter einen Widerspruch findet, zu nichte macht, kann sie
sich also auch gegen den Gesetzgeber selbst kehren oder hat dieser sich
die Kognition darüber vorbehalten, ob ein Gesetz verfassungsmäßig ist
oder nicht? Letzteres ist das Natürliche: der Gesetzgeber prüft allein
und stellt autoritativ fest, ob das Gesetz eine Verfassungsänderung
enthält. Die Verfassungsbestimmung ist nur Norm für die gesetzgebende
Gewalt, außer wenn der Gesetzgeber erkenntlich eine weitere Bindung
gewollt hat.2)
1) Laband Bd. II § 59 S. 113; G. Meyer, Staatsrecht § 173 S. 571.
Das Reichsgericht prüft in dem Fall bei Bolze, Entsch, des R. G. Bd. II
S. 2 n. 5 das Bremische Einkommensteuergesetz auf seine Gültigkeit gegenüber
dem Reichsgesetz über die Doppelbesteuerung.
2) Die Frage ist für Bremen praktisch geworden durch § 19 der Verf.
betr. die Unverletzlichkeit des Eigentums und Abtretung nur gegen volle
Entschädigung. Das Oberappellationsgericht entschied für das richterliche
Prüfungsrecht und dahin, daß die Bestimmung des §5 der Landgemeinde-
ordnung v. 1870: Alle Befreiungen von Gemeindelasten fallen ohne Ent-
schädigung hinweg, gegenüber § 19 der Verfassung nichtig sei (abgedruckt bei
Stadtländer u. Lahusen, Sammlung n. 21 S. 122 (Seuff. Archiv Bd. 32 n. 101).
— Dagegen sprach sich das Reichsgericht (Bd. IX n. 62 S. 235) gegenüber
einer angeblichen Kollision der Deichordnung v. 1876 mit dem § 19 der Verf.
im Sinne des Textes aus. „Es handelt sich hierbei nicht darum, ob ein
Grundsatz der Verfassung abgeändert sei, sondern nur darum, ob das Gesetz
ohne Abänderung der Verfassung (und ohne Anwendung der dieserhalb vor-
geschriebenen Formen) hätten erlassen werden dürfen. Diese Frage ist aber
der Nachprüfung durch den Richter entzogen.“ — Darauf ebenso Hanseat.
Oberlandesgericht in Hans. G. Ztg. 1884 N. 24; 1894 N. 116. Derselben
Ansicht Laband Bd. II S. 39 f.