92 Die Organisation des Staates. g 35
g 35. Folgen der Pflichtverletzung; Haftung des Staates für seine Beamten.
Die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung der Beamten können dreifacher Art sein:
disziplinarische, strafrechtliche, privatrechtliche Folgen.
I. Jede Pflichtverletzung des Beamten ist ein Dienstvergehen und kann
disziplinarische Folgen nach sich ziehen. Diese Folgen gründen sich
allein auf das Dienstverhältnis. Der Staat legt seinen Beamten die Erfüllung wei-
terer Pflichten auf, als den Bürgern im allgemeinen. Das Disziplinarverfahren
hat seinen Grund und Zweck lediglich im Dienstverhältnis; jedes Disziplinarver-
fahren ist daher einzustellen, sobald der Beamte unter Verzicht auf Titel, Gehalt und
Pension seinen Abschied nimmt (Brem. BG. § 100; Lüb. BG. F 60) 7).
Die Beamtengesetze zählen keine einzelnen Disziplinardelikte auf — es wäre
dies bei dem umfassenden Pflichtenverhältnis auch eine Unmöglichkeit — sondern
bezeichnen als Tatbestand generell die Verletzung der dem Beamten obliegenden
Pflichten (Brem. BG. § 73; Lüb. BG. § 35). Dem entspricht die Unbeschränktheit
von Strafmaß und Strafhöhe, bei der außer der Erheblichkeit des Dienstvergehens
auch die sonstige Führung zu berücksichtigen ist (Brem. BG. § 79, Lüb. BG. F 41) 2).
Disziplinarstrafen sind:
1. Ordnungsstrafen: Warnung, Verweis oder Geldstrafe — letztere
in Lübeck mit der Höchstgrenze von 300 Mk. Geldstrafe kann mit Verweis verbunden
werden (Brem. BG. 5 76; Lüb. BG. § 38). Warnungen und Verweise 5#) kann jeder
Dienstvorgesetzte, Geldstrafen — in Lübeck bis zur allgemeinen Höchstgrenze von
300 Mk., in Bremen bis zum Betrage des einmonatlichen Diensteinkommens, bei
unbesoldeten Beamten bis zu 200 Mk. — können in Bremen die den einzelnen Ver-
waltungszweigen vorstehenden Senatskommissare, — in Lübeck die Behörden —
gegen die ihnen unterstellten Beamten verhängen (Brem. BG. 83, 84; Lüb. B.
§ 45, 46; dort auch Näheres für die nicht richterlichen Beamten der Gerichte). Die
Ordnungsstrafen sind nach verantwortlicher Vernehmung des Beamten schriftlich
oder zu Protokoll unter Angabe der Gründe zu verhängen, dagegen findet Rekurs
an den Senat statt (Brem. BG. § 85, 86; Lüb. BG. & 47, 48, hier Rekurs binnen
14 Tagen).
2. Strafversetzung in ein anderes, seiner Berufsbildung entsprechen-
des Amt, in Lübeck stets verbunden mit einer vom Senat festzusetzenden Verminderung
des Diensteinkommens; in Bremen kann der Senat eine solche bis zu ½ 5 des Gehalts-
1) Ueber das Wesen der Disziplinargewalt des Staates: Jellinek, System , S. 214 f.;
Laband, StfR.-“, I, S. 484 f.
2) O. Mayer, Verw.-R. II, S. 214: „Die Disziplinarstrafgewalt trägt nicht jene Binde
der Gerechtigkeit vor den Augen, um nur durch eine enge Oeffnung den Ausschnitt aus der Wirklich-
keit zu sehen, der den Tatbestand der Verfehlung bildet. Sie berücksichtigt die bisherigen Verdienste,
die Hoffnungen auf die Zukunft.“
3) In Spezialgesetzen kommen auch andre Ordnungsstrafen vor, so in Bremen für Zollbeamte
Arreststrafe, für Feuermänner Strafdienst (Brem. BG. 5 136; G v. 22. April 1913, # 6).
— Das Brem. B. 5 36 sieht ein Höchstmaß der Ordnungsstrafe nicht vor; doch bestimmt §& 84,
daß Geldstrafen bis zum Betrage des Monatseinkommens von den vorgesetzten Senatskommissaren
verhängt werden können. Daraus ist der Zweifel entstanden, ob der Senat, wenn er nach abge-
schlossener Voruntersuchung im Disziplinarverfahren eine Ordnungsstrafe verhängt (B. 5 98),
auch an diese Grenze gebunden ist. Aus dem Wortlaut des Gesetzes läßt sich dies nicht ableiten.
Auch der Senat hat sich nicht daran gebunden gehalten; eine dagegen erhobene Zivilklage ist wegen
Unzulässigkeit des Rechtswegs abgewiesen (HG#Z. 1910, n. 170).