Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

4 Geschichtliche Einleitung. 82 
  
Friedensverträgen — in Lübeck Rezeß von 1416, in Bremen „Tafel“ von 1433 — feierlich be- 
stätigt wuarde. Neue Unruhen demokratischer und sozialer Natur schlossen sich an an die Refor- 
mation, doch gelang es noch einmal der alten Ratsaristokratie, auch ihrer Herr zu werden. Wie- 
derum wurde die Gewalt des „vollmächtigen Rates“ in Verträgen — in Lübeck Rezesse von 1534/5, 
in Bremen „neue Eintracht“ von 1534 — feierlich anerkannt. In der Folgezeit aber nach der 
Auflösung des Hansabundes, der der Ratspartei in den Städten einen starken Rückhalt geboten 
hatte, und dem Niedergange des deutschen Lebens infolge der Zerstörungen des 30 jährigen Krie- 
ges gelang es weiteren Schichten der Bevölkerung, eine Mitwirkung in öffentlichen Angelegenhei- 
ten zu erreichen. Diese Mitwirkung freilich stand nicht der Gesamtheit oder von ihr gewählten 
Organen zu, sondern einzelnen privilegierten Korporationen, die in ständischer Abgeschlossen- 
heit ohne organischen Zusammenhang mit der Gemeinheit die Rechte der Bürger unter dem Ge- 
sichtspunkte ihrer eigenen ständischen Rechte und Privilegien vertraten. 
Diese neue Ordnung der Verhältnisse fand in Lübeck in den Rezessen von 1665 und 1669, 
ebenso in Hamburg in den Rezessen von 1710—1712 eine grundgesetzliche Anerkennung, in Bre- 
men dagegen kam es zu einer solchen nicht; nur durch das Herkommen bildete sich hier eine stän- 
dische Vertretung der Bürger, über deren Berechtigung sich mangels jeder Festlegung fortwäh- 
rende Grenzstreitigkeiten mit dem Rat ergaben. Diese Rückständigkeit der bremischen Verfas- 
sung gab den Reformbestrebungen im 19. Jahrhundert hier einen besonderen Boden und mag 
dazu beigetragen haben, daß gerade in Bremen in der Revolutionszeit die radikalsten Aende- 
rungen durchdrangen. . 
1. In Bremen wurden auf Grund der skizzierten Entwicklung bis zur Mitte des 19. Jahr- 
hunderts die Tafel von 1433 und die neue Eintracht von 1534 im Bürger- 
eid als Grundgesetze beschworen 1). Beide verdankten ihre Entstehung der Reaktion gegen innere 
Unruhen; ihr Inhalt ging daher hauptsächlich auf eine Bestätigung der Herrschaft des „vollmäch= 
tigen“" Rates ?). Beide erkannten daneben „die alten löblichen Gewohnheiten, Sitten, Freihei- 
ten und Rechte“ der Gemeinheit an, ohne sie indessen zu nennen. Gerade dieser Unbestimmt- 
heit verdankten sie ihr langes Leben. Eigentliches Grundgesetz war das tausendjährige Her- 
kommen 2). Nur für die Zusammensetzung des Rates waren die Bestimmungen 
der Tafel noch in praktischer Geltung. Er bestand darnach aus vier auf Lebenszeit gewählten 
Bürgermeistern und vierundzwanzig Ratsherren und war in vier Quartiere emngeteilt, die bis 
ins 19. Jahrhundert hinein im Regimente halbjährlich abwechselten. Vermöge seines unbe- 
strittenen Selbstergänzungsrechtes, das erst durch das Wahlstatut vom 22. März 1816 im Sinne 
einer begrenzten Mitbeteiligung der Bürgerschaft geändert wurde, hatte er die Stellung einer 
unabhängigen Obrigkeit. 
Unbeschränkte Souveränität im Innern freilich besaß der Rat nie; wohl versuchte er selbst 
zu Zeiten die in den Grundgesetzen bestätigte Vollmächtigkeit im Sinne eines absoluten Regi- 
ments auszulegen 4), doch wußten die Bürger ihr Recht, bei den wichtigsten Angelegenheiten 
1) Abgedruckt bei G. Oelrichs, Vollständige Sammlung alter und neuer Gesetzbücher der 
Kaiserl. und des heilg. römischen Reichs freien Stadt Bremen, S. 426 f., 774 f. Ueber die Brem. 
Verfassungsgeschichte: Joh. Phil. Cassel, Historische Nachrichten von der Regiments-Verfas- 
sung und dem Rathe der kaiserl. freien Reichsstadt Bremen. 1768. Dr. Ferd. Donandt, 
Versuch einer Geschichte des Brem. Stadtrechts, 2. Th. 1830. Ders., Zur Geschichte der De- 
mokratie in der Bremischen Verfassung. 1848. Dann die erwähnten Schriften von Villers 
S. 26 f., Wurm S. 39f. 
2) Der Rat suchte seine in den Grundgesetzen anerkannte Vollmächtigkeit häufig im Sinn 
einer allumfassenden Gewalt, plenitudo potestatis, auszulegen. Daß der Ausdruck aber ursprüng- 
lich nicht sein absolutes Regiment, sondern die Unabhängigkeit seiner Stellung — die Vollmacht 
in sich selbst, nicht von der Gemeinde übertragen — bezeichnen sollte, ergibt der Zusammenhang; 
auch im Aufstand der hundertvier Männer i. J. 1530, als diese Anteil am Regiment begehrten, 
erkannten sie den Rat als vollmächtig an; v. Bippen, Gesch. der Stadt Bremen, II, S. 67. 
Donandt, Gesch. der Demokratie, S. 31: „Das Prinzip der Vollmächtigkeit des Rats blieb 
das Unwandelbare in diesem Wechsel, aber damit nur die inten sive Kraft, nichtder 
Umfang seines Rechts.“ - » 
3) Verf.-Verh. 1818 S. 202 über die Bedeutung von Tafel und Eintracht: „Sie gehören 
im strengsten Sinn des Wortes ihrer Zeit an und haben für den bei weitem größten Teil der 
Bürger durchaus keine Bedeutung mehr.“ 
4) Z. B. die von den Elterleuten angefochtenen Erklärungen des Rates bei Dünzel- 
mann, Die Bremer Kaufmannsgilde und ihre Elterleute, im Brem. Jahrbuch Bd. 17, S. 98, 
08: „„o, quod cives non aliter senatui parere teneantur quam subditi suo principi.“ Als Ver- 
fechter der Ratsautorität erscheint auch J. Ph. Cassel in seinen „Historischen Nachrichten“.
	        
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