Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

82 Verfassungsgeschichte. 5 
  
mitzuwirken, stets zu wahren, wenn auch der Umfang dieses Rechts, z. B. selbst die Mitwirkung 
des Bürgerkonvents bei der Gesetzgebung 1), streitig war. Die zum Erscheinen auf den Konven- 
ten berechtigte Bügerschaft war freilich nur eine ständische Notabelnversammlung. Nur die Bür- 
ger der Altstadt waren politisch berechtigt. Unter ihnen galten als konventsfähig ?) die Mit- 
glieder des Kollegiums der Elterleute, Gelehrte weltlichen Standes, die Diakonen und Bau- 
herren der Kirchen und andere durch den Besitz des großen Bürgerrechts oder ein größeres Ver- 
mögen gqualifizierte Bürger. Bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts trat die Bürgerschaft nach 
den 4 Kirchspielen getrennt zusammen. Den Kern der Bürgerschaft bildete das Kollegium 
der Elterleute, die sich aus Vorstehern der Kaufmannschaft zu Vorstehern der Bürger- 
schaft entwickelt hatten und als solche eine Nebenregierung neben dem Rat in Anspruch nahmen?). 
Von großer Bedeutung war schon damals das Zusammenwirken von Ratsherren und bür- 
gerlichen Deputierten in den Deeputationen, die meist gelegentlich einer Steuerbewilligung 
entstanden, indem die Bürger auch eine Mitwirkung bei Erhebung und Verwendung der Steuern 
forderten 4). Die engen Verhältnisse nötigten eben doch den Rat zu einem Zusammengehen mit 
den Bürgern; so wurden auch bei auswärtigen Verwicklungen geheime Deputationen eingesetzt, 
von denen besonders die geheime Deputation von 1792 18 Jahre hindurch mit ausgedehnter 
Vollmacht in den schwierigsten Zeiten die Geschicke des Staates leitete 5). 
2. Lübecke), im Mittelalter unter einem streng aristokratischen Ratsregiment mit Ansätzen 
sogar zu einer Geschlechterherrschaft, wie sie in den beiden andern Hansestädten völlig fehlte, zeigte 
doch am Ausgange der reichsstädtischen Periode im Vergleich zu Bremen eine wesentlich fortge- 
schrittenere Verfassung. Es fehlte hier nicht an Grundgesetzen, die der Gewalt des Rates feste 
Schranken zogen; dies waren der Kassarezeß von 1665 und der sog. Bürgerrezeß 
von 16697). Während der erstere eine Mitwirkung der Bürger vor allem bei der Finanzver- 
waltung anordnete, bestimmte letzterer die Zusammensetzung des Rates und zählte die Gegen- 
stände auf, bei denen er an eine Mitwirkung der bürgerlichen Korporationen gebunden war. Der 
Rat bestand darnach aus 4 auf Lebenszeit gewählten Bürgermeistern und 16 Ratsherren; sein 
Selbstergän zungsrecht fand eine Beschränkung nur durch den Ausschluß naher Verwandter und 
Verschwägerter und die gebotene Berücksichtigung von Gelehrten und Mitgliedern bestimmter 
Kollegien bei Besetzung einiger Stellen. Der Rat allein leitete das Kriegswesen, die Rechts- 
pflege und Polizei. Auf anderen Gebieten war eine Mitwirkung der bürgerlichen Kollegien er- 
forderlich, so bei Zulassung fremder Religionsübung, außerordentlichen Umlagen, Veränderung 
des Stadtrechts, in Kriegs= und Friedenssachen, bei Veräußerung von Land und Leuten, bei 
Ausgaben für Handels= und gemeine Stadtsachen. Seit Anfang des 17. Jahrhunderts übten 
die Bürger einen steigenden Einfluß auch auf die Staatsverwaltung durch Abordnung bürger- 
  
  
1) Bezeichnend war der Streit über die Gültigkeit der 1756’' vom Rat allein erlassenen 
Ehepaktenordnung. Für die Gültigkeit trat ein Bürgermeister D. Smidt in seiner Schrift: 
„Ueber die gesetzgebende Gewalt in Bremen“ (ca. 1780). Schließlich entschied auch die Juristen- 
fakultät Gießen (1785) unter Berufung auf die grundgesetzliche plenaria potestas des Rates für 
die Gültigkeit. 
2) In dem Verfassungsentwurf von 1814 Art. 107, 108 waren die Kategorien der konvents- 
berechtigten Bürger aufgezählt. Seitdem hielt man sich an diese; doch wurde nur eine Auswahl 
geladen. Eine treffliche Schilderung des Bürgerkonventes vor 1848 bei Duckwitz, Denkwürdig- 
keiten aus m. öffentl. Leben, 1877, S. 169 f. 
3) Ueber die Elterleute und ihre Zwistigkeiten mit dem Rat: v. Bippen, a. a. O. Bd. III, 
159 fs Dünzelmann, Die Brem. Kaufmannsgilde und ihre Elterleute, Brem. Jahrb. 
. 17, S. 77f. 
4) Schon in den Verf.-Verh. 1818, S. 191 f., Klage des Rates über die „Partikular-Re- 
gierungen“ und den Stationsgeist der vielen Deputationen. Ueber das Deputationswesen in 
der Beit vor - Verfassung vgl. auch den Bericht des K. der Bürg. in Verh. der Brem. Bürg. 
, S. 157 f. 
5) Ueber ihre Tätigkeit: Kühtmann, Bremen und die französische Revolution im Brem. 
Jahrbuch, Bd. 15, S. 200 f. 
6) Ueber die ältere Verfassungsgeschichte Lübecks: F. Frensdorff, Stadt= und Ge- 
richtsverfassung Lübecks im 12. und 13. Jahrhundert. 1861. Ueber die Zustände am Ausgang 
der reichsstädtischen Periode: Fr. Bruns, Verfassungsgeschichte des Lübeck. Freistaates 1848 
bis läh (1898). Ferner Villers, Constitutions, S. 3 ff. und Wurm, Verfassungsskizzen, 
7) Die Rezesse sind abgedruckt bei J. R. Becker, Geschichte der Stadt Lübeck (1805), Bd. 3, 
S. 1 ff., ferner als Anlage zu den Verhandlungen über die Verfassungs-Revision, 1817, S. 73 ff. 
Ueber die Rezesse auch C. Wehrmann, Die obrigkeitliche Stellung des Rates in Lübeck. 
Hans. Geschichtsblätter 1884, S. 67 ff.
	        
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