Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

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schaft gewählt; die Wahl bedarf der Bestätigung des Senats (Kfm. O. 8 15) 1). Das 
Gesetz unterscheidet einen doppelten Wirkungskreis der Handelskammer: ihre Ge- 
schäftsführung der Kaufmannschaft und die ihr übertragenen staatlichen Aufgaben. 
Zu ersterem gehört die Verwaltung des Vermögens der Kaufmannschaft und die 
Leitung ihrer gewerblichen Unternehmungen; das sind vor allem das Lagergeschäft 
im Hafen, der Schleppbetrieb im Hafen, auf der Trave und dem Elbe-Travekanal. 
Als staatliche Aufgaben liegen ihr ob: die Wahrung der Interessen des Handels, 
der Schiffahrt und der Industrie, soweit für die letzteren nicht die Gewerbekammer 
zuständig ist (Kfm. O. § 22; unten § 46). Sie ist über alle Staatsverträge, Gesetze 
und Verordnungen, die Handel, Schiffahrt oder Industrie betreffen, gutachtlich zu 
hören (Kfm.O. § 30); sie übt die unmittelbare Aufsicht über die Börse 2), die Aufsicht 
über die kaufmännische Fortbildungsschule #), sie stellt bestimmte „Handelsbeamte“ 
an und wirkt bei der Anstellung anderer mit (Näheres Kfm.O. § 22 a und b). Für 
die einzelnen Geschäftszweige bildet sie Ausschüsse. Als „Oberbeamte“ hat sie 2 
von ihr angestellte Sekretäre (Kfm.O. § 19) /. 
§# 46. Die Vertretungen des Gewerbestandes. Die Gewerbekammer in Bre- 
men wurde als erste in Deutschland durch die Verf.-Gesetzgebung von 1849 errichtet 5). 
Die anderen Hansestädte folgten dem Beispiel, Lübeck durch Bildung einer Ge- 
werbekammer durch G. v. 28. Juni 1867. In den Gewerbekammern der Hansestädte 
sind Handwerk und Industrie gemeinsam vertreten 6). Da die Industrie 
auch wichtige kommerzielle Interessen hat, deren Wahrnehmung Aufgabe der Han- 
delskammer ist, berühren sich hier die Wirkungskreise beider Kammern. Die Kompe- 
tenzschwierigkeiten, die sich beim Anwachsen der Bedeutung der Großindustrie in 
den 3 Staaten daraus ergeben haben, sind jetzt durch schärfere Abgrenzung der Tätig- 
keitsgebiete der Kammern beigelegt?). Ihrer wachsenden Bedeutung entsprechend 
1) In Hamburg und Bremen wählt die Handelskammer selbst ihren Präses. Die abweichende 
Regelung in Lübeck ist eine Folge der andersartigen Stellung der beiden Organe (oben);z er ist in 
erster Linie „Präses der Kaufmannschaft“. Eingehende Verhandlungen über die Wahl des Präses 
bei der Neuredaktion der Lüb. Kaufmannsordnung in 1898 (Bericht in Verh. 1898 D., n. 12, Anl. 
2, 3). Die beiden Stellvertreter des Präses werden auch in Lübeck von der Handelskammer aus ihrer 
Mitte gewählt (Kfm. O. § 18). 
2) Lüb. Kfm.O. & 28. Lüb. Börsenordnung v. 6. Juli 1904 (S. 141) 8 4, 6. 
3) Lüb. Ges. v. 6. Febr. 1905 (S. 15); die kaufmännischen Mitglieder des Schulvorstandes 
werden von ihr ernannt. — Die Ernennung von Sachverständigen in Handels= und Schiffahrts- 
sachen rrfocgt auf Vorschlag der Handelskammer durch das Stadt-= und Landamt: Ges. v. 21. Dez. 
1887 (II, S. 41). 
4) Auch diese sind nach der Definition des Lüb. BG. keine Beamte (oben F 32). 
5) Brem. Verf. v. 1849, §J 175. Der Entwurf v. 1837 sah eine gemeinsame Kammer für Handel 
und Gewerbe mit 2 Abteilungen vor. — Die Gewerbekammer in Hamburg wurde 1872 errichtet 
(Ges. v. 18. Aug. 1872), nachdem schon seit 1864 in Ausführung des Art. 93 der Hamb. Verf. ein 
„Gewerbeausschuß" bestanden hatte. Nagel, Die hanseatischen Gewerbekammern in Schmollers 
Jahrbüchern Bd. VII, S. 561 f.; Hampke im Handwörterbuch der Staatswissenschaften", 
Bd. IV, S. 995 f.; Jacobi, Die Brem. Gewerbekammer in den Jahren 1849—1884 (1884). 
6) Der zugrunde liegende Begriff des „Gewerbes“ ist dabei insofern ein anderer als in der 
Gewerbeordnung, als er das von der letzteren mit umfaßte „Handelsgewerbe“ nicht einschließt. 
Durch ihre Definitionen — vgl. unten — schließen die Gewerbekammergesetze dieses aus. 
7) In Bremen kamen die Differenzen zum Ausbruch, nachdem die Handelskammer 1900 
sich einen „Industriebeirat“ beigeordnet hatte (uvgl. mein Brem. St.= und Verw.-R., S. 100, Anm. 2). 
Die Gewerbekammer glaubte sich demgegenüber zur Vertretung der Interessen der Industrie aus- 
schließlich berechtigt. Der Streit der Kammern wurde zu einem Verfassungskonflikt, da der Senat 
sich auf die Seite der Handelskammer, die Bürgerschaft auf die der Gewerbekammer stellte. Auf 
Veranlassung der letzteren arbeitete Prof. Loening, Halle, ein ausführliches Gutachten aus,
	        
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