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scheidung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Senat und Bürgerschaft herbei-
geführt werden können (Lüb. Verf. Art. 75; oben § 26 Z. 2).
g 50. Das Berordnungsrecht des Senats. Verordnungen sind nach heute ein-
gebürgertem Sprachgebrauch allgemeine staatliche Anordnungen, die nicht im Wege
der Gesetzgebung erlassen sind. Damit bezeichnet der Ausdruck also eine Form der
staatlichen Willensäußerung, die ihre Begrenzung durch den Gegensatz zum Gesetz
erhält. Früher wurde in den Hansestädten dieser Unterschied im Sprachgebrauch
nicht gemacht; vielmehr bezeichnete man Gesetze und Verordnungen gleichmäßig als
„obrigkeitliche Verordnungen“ ½).
Nach ihrem Inhalt werden Rechts= und Verwaltungsverord-
mn ungen unterschieden. Die letzteren enthalten Anordnungen allgemeiner Art
im Rahmen der geltenden Rechtsordnung, z. B. über die Geschäftsführung der Be-
hörden, die Benutzung öffentlicher Anstalten u. a. Solche Verwaltungsverordnungen
kann der Senat als höchste Verwaltungsbehörde und jede andere Behörde innerhalb
ihrer Zuständigkeit erlassen.
Rechtsverordnungen dagegen enthalten Rechtsvorschriften; sie greifen
in den Rechtszustand ein und haben den Inhalt materieller Gesetze. Da die Gesetz-
gebung Sache von Senat und Bürgerschaft ist, kann der Senat oder eine andere Be-
hörde Rechtsverordnungen nur erlassen kraft gesetzlicher Ermächtigung und soweit
diese reicht. Jede Rechtsverordnung muß ihre Grundlage in einem Gesetz haben
und hat auch ihre Schranke am Gesetz.
I. Die Verfassungen von Bremen und Lübeck geben dem Senat einige all-
gemeine Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen:
1. Nach der Brem. Verf. § 20 kann der Senat im Falle eines Krieges, Aufruhrs
oder sonstiger Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sog. Not-
verordnungen erlassen. Näheres oben S. 32.
2. Von weit größerer Bedeutung ist das in beiden Verfassungen anerkannte
Recht des Senats zum Erlaß von Polizeiverordnungen (Brem. Verf.
§ 57m und § 58 b; Lüb. Verf. Art. 50 III) 2); daß es sich dabei um Rechtsverord-
nungen handelt, bringen die Verfassungen zum Ausdruck, indem sie es als Ausnahme
von der sonst durch Senat und Bürgerschaft gemeinsam ausgeübten Gesetzgebung
hervorheben.
Die Polizeiverordnungen enthalten Gebote und Verbote an die Untertanen
im Interesse der Erhaltung der guten Ordnung des Gemeinwesens in der Regel
unter Strafandrohung 2). In der Höhe und Art der angedrohten Strafe ist der Senat
1) In Lübeck kommt auch heute noch die Bezeichnung „Verordnung"“ für Gesetze vor, z. B.
Verordnung betr. die Einführung von Wassermessern v. 21. Nov. 1903 (S. 329).
2) Die Lüb. Verf. Art. 50 III spricht von polizeilichen „Verfügungen“; doch za kein Zweifel
sein, daß damit Verordnungen allgemeinen Inhalts gemeint sind (so auch das Urteil in Hans.
Entsch. in Straff., Bd. I, S. 359). — Die Hamb. Verfassung gibt dem Senat kein allgemeines
Recht zum Erlaß von Polizeiverordnungen,i in beschränktem Umfang aber das Verw.-Ges. v. 2. Nov.
1896. Für Hamburg ist daher die Frage streitig geworden, ob aus dem Wesen seiner Regierungs-
gewalt ein allgemeines Polizeiverordnungsrecht des Senats zu folgern sei. Dagegen: Hanfft,
as Veroronungerecht des Hamb. Senats; 1900. Ferner dazu: Nöldeke, Hamb. Landesprivat-
recht, S. 45; Hartmann in H. 1912, n. 68.
3) O. Mayer, Verw.-R. I, S. 271 .. Fleiner, Institutionen 2, S. 73 f. Die Straf-
androhung kann auch in einem Gesetz enthalten und nur die Aufstellung der Norm der Verordnung
vorbehalten sein (z. B. StrGB. 3 366, n. 10).