Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

140 Die Verwaltung. * 53 
  
von Lübeck, die ihre Aufgaben allgemein wesentlich enger steckte, hatte keinen Anlaß, 
sich mit diesen Dingen zu beschäftigen, und auch später kam es hier nicht zur Auf- 
stellung entsprechender, allgemeiner Normen. 
1. Nach § 15 der Brem. Verfassung steht „jedem, der sich durch 
eine Verwaltungsmaßregel in seinen Privatrechten ge- 
kränkt glaubt“, der Rechtsweg offen. Die Bestimmung findet 
sich in dieser Form zuerst in der Verfassung von 1854 1). Man wollte damit dem. 
Einzelnen einen Rechtsbehelf gegenüber der Verwaltung geben, ähnlich wie zur Zeit 
des alten Reiches die Reichsgerichte gegen unrechtmäßige Verfügungen des Rates 
angerufen werden konnten, und man übertrug diesen Rechtsschutz entsprechend den 
Anschauungen jener Zeit den Gerichten als den allein dazu berufenen unabhängigen 
Organen 2). Mit den wachsenden Aufgaben der Verwaltung, die heute, z. B. auf 
dem Gebiete der Baupolizei, des Gesundheitswesens, in immer steigendem Maße 
in die Rechtssphäre des Einzelnen eingreift, im Zusammenhange mit einer weiten 
Interpretation durch die Gerichte hat die Bestimmung heute eine viel größere Be- 
deutung gewonnen, als man damals ahnen konnte. Sie unterstellt die Verwaltung 
einer Kontrolle durch die Gerichte, über deren Umfang diese letzten Endes selbst ent- 
scheiden, da auch die Entscheidung von Kompetenzkonflikten in Bremen durch das 
Reichsgericht zu erfolgen hat. 
Der & 15 der Brem. Verfassung enthält, wie auch die Gerichte in ständiger Praxis 
anerkannt haben 3), nicht wie andere Vorschriften jenes 2. Abschnittes der Verfassung 
(oben S. 29) nur eine Anweisung für den Gesetzgeber, sondern einen unmittelbar 
bindenden Rechtssatz. Seine Anwendung setzt nicht einen Streit über privat- 
rechtliche Beziehungen des Betroffenen zum Staat voraus; er soll gerade auch gegen- 
über obrigkeitlichen Eingriffen den Einzelnen schützen. Auch Streitigkeiten, die nach 
der heutigen Auffassung zweifellos öffentlich-rechtlicher Natur sind, z. B. über die 
Gültigkeit eines Polizeibefehls, einer Steuerauflage, sind durch den § 15 als „bürger- 
liche Rechtsstreitigkeiten in formellem Sinne“ zu „Justizsachen“ gemacht und an die 
ordentlichen Gerichte verwiesen, ohne daß damit auch über die Anwendung privat- 
rechtlicher Grundsätze auf diese Rechtsverhältnisse etwas gesagt ist). 
tuung gerichtlich belangt werden“. Diese Befugnis ist näher begrenzt durch die vielumstrittenen 
Bestimmungen § 24 f. des sog. Verhältnisgesetzes v. 23. April 1879. Dazu Wulff, Hamb. 
Ges. und V. I, S. 138 f.; v. Melle, Hamb. StR., S. 231 f.; Nöldeke, Hamb. Privatrecht, 
S. 68 f. und die unten zit. Aufsätze insbesondere von Hartmann. 
1) Schon der Brem. Verf.-Entwurf v. 1837, S. 120 erkennt an, „die freie Befugniß eines je- 
den, der sich durch einen Akt der Staatsgewalt in seinen Rechten gekränkt glaubt, den gerichtlichen 
Weg einzuschlagen“. Die Verf. v. 1849, Art. 12 bestimmte dazu: „Jeder hat das Recht, öffentliche 
Beamte wegen solcher amtlichen Handlungen, durch die er sich in seinen Rechten verletzt glaubt, 
gerichtlich zu verfolgen.“ Diese Bestimmung wurde dann bei der Verfassungsrevision abgeändert, 
da sie in ihrer Allgemeinheit zu Mißdeutungen Anlaß gebe und um durch den jetzigen & 15 ihr 
ihre „allein praktische Bedeutung zu sichern“ (Brem. Verh. 1852, S. 367). 
2) Ueber die damalige Auffassung geben die Verhandlungen der Bürgerschaft 1853, S. 131 f., 
157 Aufschluß. Vgl. darüber auch die Entsch. des Reichsgerichts in der Brem. Kompetenzkonflikts- 
sache bei Warn. Rspr. 1911 n. 307.— Ueber die damalige Auffassung im allgemeinen: Fleiner, 
Institutionen : S. 215 f.; Stein, Grenzen, S. 9 f.; Hartmann in H3. 1908, S. 269f. 
" Z. B. HGZ. 1808, u. 161; RG. in HG. 1910, n. 122; 1912, n. 10 und Warn. Rspr. 1911, 
7. 
4) So vor allem Stein, Grenzen, S. 24 f. Daß der § 15 der Brem. Verf. Streitigkeiten, 
die an sich nach der heutigen Auffassung zweifellos öffentlichrechtlicher Natur sind, den Gerichten 
zuweist, kann nicht zweifelhaft sein (so auch RG. Bd. 68, S. 28; HG3. 1907, n. 116; 1903, n. 36, 
n. 3
	        
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