8 Geschichtliche Einleitung. 82
Mit der Reform des Gerichts- und Finanzwesens schien das Notwendigste getan. Einen wichtigen
gemeinsamen Fortschritt für die Rechtspflege bildete die Errichtung des Oberappellationsgerichtes
der 4 freien Hansestädte in Lübeck im Jahre 1820 7), das bis 1879 eine hervorragende Wirksam-
keit entfaltete und sich als wichtiges Bindeglied unter den Städten erwies.
II. Die weiteren Reformbestrebungen bis zur Bildung der
Verfassungen.
1. In Bremen gaben die französische Juli-Revolution und ihre Nach-
wirkungen in Deutschland den Anstoß zur Wiederaufnahme der Verfassungsverhandlungen. Am
25. Februar 1831 wurde eine Deputation zur Vorberatung eingesetzt. 6 Jahre zogen sich ihre
Verhandlungen hin 2), bis sie nach einer scharfen Forderung des Bürgerkonvents im Mai 1837
mit ihrem Entwurf hervortraten, dem Motive der senatorischen Mitglieder beigegeben waren,
gegen welche die bürgerlichen Deputierten Protest erhoben 2). Der Entwurf schloß sich ebenfalls.
an das Bestehende an und machte dem Zeitgeiste nur wenige Konzessionen. Seine Signatur
ist wohl richtig bezeichnet: „Souveränität des Senats, in einzelnen Zweigen der Staatsgewalt
durch eine bürgerschaftliche Aristokratie beschränkt““). Der Bürgerkonvent von 115 Mitgliedern
bestand weiter zum größeren Teile aus ständigen Mitgliedern, dem Kollegium der Elte rleute,
einer Anzahl Gelehrter, Bauherren, Diakonen usw.; nur 30 Mitglieder sollten gewählt werden,
wobei das Wahlrecht an bestimmte Qualifikationen geknüpft war. Nach Vorlage des Entwurfs
geschah nichts weiter, ihn Gesetz werden zu lassen 5). Die Bewegung von 1830 hatte sich ver-
laufen; dieser Entwurf konnte das Verlangen nach einer Verfassung nicht befriedigen.
So traf die Revolutionsbewegung von 1848 hier auf staatliche Zustände, die
auch gemäßigte Elemente nicht als zeitgemäß verteidigen konnten. Am 8. März 1848 kam die
Revolution in Bremen zum Ausbruch). Der Senat wurde zur Annahme einer Petition ge-
nötigt, nach der unverzüglich eine von allen Bürgern mit gleichem Wahlrecht gewählte Bürger-
schaft zur Vereinbarung einer neuen Verfassung einberufen werden sollte. Nach Wahl dieser
Konstituante trat eine Verfassungsdeputation schon um Mitte 1848 zusammen. In der Depu-
tation wie in der Konstituante herrschte eine gemäßigt demokratische Richtung, der es gelang,
die weitergehenden Forderungen der äußersten Linken, z. B. Wahl der Senatsmitglieder auf
ihre Stadtverfassungen im Verfallzustande wieder erstehen ließ.“ Gerade Staatsmänner wie
Smidt und der Hamburger Sieveking warnten aus Gründen der äußeren Politik vor durchgrei-
fenden Reformen; Mönckeberg, Hamburg unter dem Druck der Franzosen, S. 316. Die
romantische Verherrlichung des Altgewordenen tritt schon hervor bei Villers, der in der Ein-
leitung seiner Constitutions vor dem Glauben an äußere Formen als „une maladie de notre siecle“
warnt, und Alex. Müller, der in der „Einleitung z. Studium der Verfassungsgesch. der 4 freien
Städte“ ihre Grundgesetze als „ein wahres Meisterstück einer politischen Organisation für kleine
Staaten“ preist.
1) v. Bippen, Die Gründung des Lüb. Oberappelationsgerichts in Hans. Geschichts-
blätter, Jahrg. 19, S. 25 f.
2) Die Mitglieder der Deputation hatten eidlich Stillschweigen geloben müssen; diese Isolie-
rung wurde später als Fehler allgemein anerkannt. Die Verzögerung geschah wohl nicht ohne
Absicht des Vorsitzenden, Bürgermeister Smidt, während dessen Abwesenheit die Verhandlungen
2 Jahre ruhten.
3) Gedruckt als „Bericht über die Resultate der vom 25. II. 1831 bis 22. V. 1837 stattgefun-
denen Verhandlungen in Verfassungsangelegenheiten der freien Hansestadt Bremen, dem Se-
nat erstattet von seinen Mitgliedern des zu diesen Verhandlungen gestellten gemeinsamen Aus-
schusses des Senats und der Bürgerschaft“. 1837. Eine Kritik bei Dr. F. Donandt, Zur Ge-
sichte der Demokratie in der Brem. Verfassung, 1848, S. 33 f. und Wurm, Verfassungsskizzen,
4) Donandt a. a. O., S. 39.
5) Für die späteren Verhandlungen blieb der Entwurf von 1837 wertvolles Material; die
ausführlichen Motive verdienen auch wegen der Abfassung durch Bürgermeister Smidt schon
Interesse. Smidt selbst war einer grundgesetzlichen Neuordnung wenig geneigt; „er haßte die
Einengungen, welche konstitutionelle Formen seinem Wirken zu bereiten drohten und suchte die
Grenzen der staatlichen Kompetenzen möglichst vage zu halten“ (O. Gildemeister in Joh.
Smidt, Ein Gedenkbuch, S. 27 f.).
6) Ueber die Entwicklung der Dinge in jener Zeit: O. Gildemeister, Die freie Hanse-
stadt Bremen in ihrer politischen und kulturgeschichtlichen Entwicklung“", in „Die Gegenwart"“,
Bd. VIII, S. 235 f. (1852). v. Bippen a. a. O. Bd. III, S. 459 ff.