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Verfassung der freien und Hansestadt Lübeck.
Artikel 46 1).
Auf alle Anträge des Senates muß in
derselben Versammlung, in welcher sie ge-
stellt sind, ein Beschluß gefaßt werden.
Es steht jedoch der Bürgerschaft frei,
einen Antrag des Senates zunächst einer
aus ihrer Mitte zu ernennenden Kom-
mission zur Begutachtung zu überweisen
und bis zur Erstattung des Gutachtens
ihre Entscheidung auszusetzen. Wenn eine
solche Kommission über irgendeinen
Punkt noch eine Aufklärung für erforder-
lich erachtet, so kann sie dieserhalb eine
Besprechung mit den Kommissaren des
Senates begehren. Die Kommissare des
Senates sind befugt, Mitteilung des Gut-
achtens der Kommission zu verlangen,
bevor über die Sache weiter verhandelt
wird.
Jeder Antrag des Senates muß, be-
vor er als angenommen gelten kann,
einer zweimaligen Beratung und Ab-
stimmung unterzogen werden, es sei denn,
daß bei der ersten Abstimmung mindestens
zwei Drittel aller an ihr teilnehmenden
Mitglieder sich für die Annahme erklärt
haben. Die zweite Lesung darf jedoch nicht
an demselben Tage wie die erste statt-
finden.
Anträge auf Abänderung der Ver-
fassung bedürfen stets der zweiten Le-
sung. Bei Budgetberatungen findet eine
zweite Lesung nicht statt.
Hat die Bürgerschaft eine Senatsvor-
lage endgültig nur unter Annahme von
Abänderungsanträgen beschlossen, und ist
diesen der Senat nicht durchweg beige-
treten, so beschließt die Bürgerschaft über
die Vorlage bei ihrer wiederholten Be-
ratung mit einfacher Mehrheit, ohne daß
es einer zweiten Lesung bedarf.
Die Verhandlungen über Anträge des
Senates haben vor allen anderen den
Vorzug und dürfen nicht ohne Zustim-
mung der Kommissare durch anderweitige
Geschäfte unterbrochen werden.
Artikel 47.
Das über die Beschlüsse der Bürger-
schaft auf Anträge des Senates aufzu-
nehmende Protokoll ist in einer von dem
Vorsitzenden und dem Protokollführer
unterzeichneten Ausfertigung fördersamst
den Kommissaren des Senates zuzustellen,
um es dem letzteren vorzulegen.
2) Ziffer IV in der Fassung des Ges. v. 22.
Artikel 48.
Der Geschäftsgang bei den Beratungen
der Bürgerschaft wird, soweit er nicht im
Vorstehenden festgestellt worden, durch
eine von der Bürgerschaft zu beschließende
Geschäftsordnung geregelt.
Artikel 49.
Eine Ausfertigung des in den Ver-
sammlungen der Bürgerschaft geführten
Protokolls ist binnen drei Tagen nach jeder
Versammlung dem im Senate den Vorsitz
führenden Bürgermeister zuzustellen, auch
ist das Protokoll, soweit nicht Geheim-
haltung beschlossen ist, durch den Druck
zu veröffentlichen.
Der Senat bringt die im Einverneh-
men mit der Bürgerschaft gefaßten Be-
schlüsse, soweit nicht Gründe des Staats-
interesses deren Geheimhaltung ratsam
erscheinen lassen, durch das Amtsblatt
zur öffentlichen Kunde.
Artikel 50.
Die Mitgenehmigung der Bürgerschaft
ist erforderlich:
I. zu jeder Abänderung der Staats-
verfassung;
II. zu jedem Erwerb und jeder Ver-
äußerung von Hoheitsrechten;
III. zur Erlassung, authentischen Aus-
legung, Aenderung oder Aufhe-
bung von Gesetzen, sowie von Ver-
ordnungen in Handelssachen.
Polizeiliche Verfügungen und
lediglich die Handhabung bestehen-
der Gesetze betreffende Verord-
nungen werden dagegen vom Se-
nate allein beschlossen, doch ist bei
Verkündigung der letzteren stets
das Gesetz zu bezeichnen, um dessen
Handhabung es sich handelt;
IV.:) zur Einführung, Aufhebung und
Veränderung direkter oder indirek-
ter Steuern und Abgaben aller
Art einschließlich der Gebühren.
Auf den im zweiten Absatz der
Ziffer III ihm vorbehaltenen Ge-
bieten kann der Senat allein Ge-
bühren festsetzen, soweit sie sich
ausschließlich als ein Entgelt für
die besondere staatliche Leistung
darstellen, die durch eine polizei-
1) Art. 46 in der Fassung des Ges. v. 23.
liche Verfügung oder durch eine
April 1913.
März 1911.