Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XXVII. Das Staatsrecht der Freien Hansestädte Bremen und Lübeck. (27)

16 Allgemeiner Charakter beider Staaten und ihrer Verfassungen. l 5 
  
der Staatsgewalt an, an dessen Stelle Senat und Bürgerschaft diese nur ausüben, 
so würde jener Träger sich doch in allen drei Hansestädten aller Rechte, mit Ausnahme 
des Wahlrechts zur Bürgerschaft, begeben haben. Eine solche Unterscheidung zwischen 
Träger und Ausüber der Staatsgewalt würde nur theoretische Bedeutung haben. 
Die Vorstellung, daß Senat und Bürgerschaft sekundäre Organe seien, 
da sie das Volk als das primäre Organ repräsentierten, würde außerdem mit dem 
geschichtlich gewordenen Verhältnis beider Organe nicht im Einklang stehen und ein 
schiefes Bild von der Stellung des Senates geben, der vielmehr als Regierung der 
Bürgerschaft als dem repräsentierenden Organ gegenübersteht 1). 
Die Verfassungen stellen den Satz, daß Senat und Bürgerschaft 
gemeinschaftlich Träger oder Ausüber der Staatsgewalt sind, als obersten 
Grundsatz an die Spitze. Seine Bedeutung ist allerdings in Bremen und Lübeck 
nach dem weiteren Ausbau der Verfassungen eine verschiedene 2). Er hat zunächst — 
und zwar in allen drei Hansestädten — als allgemeiner Grundsatz eine historisch- 
dogmatische Bedeutung. In dieser Beziehung soll er besagen, daß Senat 
und Bürgerschaft gleichberechtigt und selbständig als höchste Organe nebeneinander 
im Staat stehen, keines dem andern übergeordnet. Die Bürgerschaft ist insbesondere 
nicht Gehilfin des Senats, sondern Mitsouverän; in ihrem Zusammen- 
wirken üben sie die höchste Staatsgewalt aus. Rechtlich steht 
einer solchen Stellung mehrerer höchster Organe an der Spitze des Staates nichts im 
Wege; der höchste Wille wird dann aus den Willensakten der einzelnen Organe ge- 
bildet 3). 
In dieser Richtung bezieht sich jener Grundsatz also auf die Stellung der 
beiden Organe zueinander, nicht auf den Umfang ihrer Berechtigung. 
Er bezeichnet als geschichtliches Resultat der Verfassungsentwicklung die Gleich- 
1) Ueber den Unterschied zwischen primären und sekundären Organen, welch letztere die 
erstere repräsentieren: Jellinek, Staatslehre, S. 546 f. Jellinek sieht auch (S. 732. 
Anm. 2) die Senate als primäre Organe an, weil sie das Volk nicht repräsentieren. Dagegen ist 
nach Walther, Das Staatshaupt in den Republiken (1907), S. 78, auch der Senat Repräsen- 
tant des Volkes. Auch Seelig, Hamb. Staatsrecht, S. 50 und Lüdersa. a. O., S. 7 f. be- 
zeichnen Senat und Bürgerschaft als sekundäre Organe gegenüber der Gesamtheit der Bürger. 
Aehnlich auch wohl Laband, wenn er — Staatsrecht S. 97 — „die Bürgerschaften“ als Sub- 
jekt der Staatsgewalt in den Hansestädten bezeichnet. 
2) Ob Senat und Bürgerschaft gemeinschaftlich oder der Senat allein Träger — oder Aus- 
über — der Staatsgewalt seien, ist speziell für Hamburg streitig geworden. Für die früher un- 
bestrittene und auch jetzt herrschende Ansicht von der Gleichstellung von Senat und Bürgerschaft: 
Für die Hansestädte im allgemeinen Mener-Anschütz, Deutsches Staatsrecht", S. 415; 
Rehm, Allgem. Staatslehre, S. 188, 194; Jellinek, Staatslehre, S. 550, 732 Anm. 2; 
speziell für Hamburg Wolffson, Staatsrecht der fr. uud Hansestadt Hamburg, S. 11; 
Wulff, Hamb. Ges., I. Band, S. 3; Hanfft, Das Verordnungsrecht des Hamb. Senates, 
1900, S. 51 f.; Lüders, Annalen, 1912, S.5f.; für Bremen: Sievers, Brem. StR., 1884, 
S. 71; mein Brem. Staats= und Verwaltungsrecht, S. 18 ff.; für Lübeck: Klügmann, 
Lüb. StR., S. 44. Nachdem für Hambueg zunächst v. Melle, Hamb. StR., S. 36 ff. die An- 
sicht vertreten hatte, daß trotz des Verfassungsgrundsatzes tatsächlich der Senat das „Staatshaupt“ 
sei, behauptete weiter Seelig, Hamb. StR., S. 60 f., 66 f., daß der Senat im konstitutio- 
nellen Alleinbesitz der Staatsgewalt sei; er leitete daraus u. a. die praktische Folgerung ab, 
daß der Senat „landesherrliche“ Verordnungen auf Grund der Reichsgesetze erlassen könne 
(unten § 50 II). Ihm tritt bei mit teilweise anderer Begründung Brandis, das Kyrion 
in der Lagh Verfassungsgeschichte, 1911, S. 34 f. Gegen beide wendet sich Lüders, Annalen 
1912, S. 5 f. 
3) Jellinek, Staatslehre s, S. 550, wo er die Hansestädte als Beispiel für Verfassungen 
mit mehreren höchsten Organen anführt.
	        
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