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schnitt nach dem Muster zahlreicher Verfassungen und speziell der „Grundrechte des
deutschen Volkes“ von 1849 eine Reihe von Grund- und Freiheitsrechten zusammen.
Ihre Bedeutung liegt überwiegend in der Vergangenheit; sie waren ein Protest
gegen frühere Beschränkungen der persönlichen Freiheit und sollten die Grundsätze
des Rechtsstaates, daß die Verwaltung durch das Gesetz gebunden ist und Eingriffe
in Freiheit und Eigentum der Person nur durch Gesetz erfolgen können, verfassungs-
mäßig festlegen ).
Die Verfassung von Lübeck ist eine der wenigen Verfassungen aus der Mitte
des 19. Jahrhunderts, die keine Grundrechte enthalten. Es erklärt sich dies aus der
oben S. 12 geschilderten Besonderheit ihrer Entwicklung; die Verfassungen von
1848 und 1851 ordneten nur bestimmte Teile des Staatsorganismus; als bei der
Revision von 1875 einige allgemeine Bestimmungen Aufnahme fanden, waren solche
allgemeinen Doktrinen nicht mehr zeitgemäß; die Aufnahme von Grundrechten
wurde als überflüssig abgelehnt 2). Tatsächlich kann es nicht zweifelhaft sein, daß
jene allgemeinen Grundsätze des Rechtsstaates auch in Lübeck Geltung haben.
Die meisten der im 2. Abschnitt der Brem. Verfassung enthaltenen Rechte haben
nur die Bedeutung allgemeiner Grundsätze; sie sind Normen für den Ge-
setzgeber und entbehren der unmittelbar praktischen Bedeutung, zumal da der
Richter die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze nicht nachzuprüfen hat und daher eine
Instanz zur Beseitigung widerstreitender gesetzlicher Bestimmungen fehlt (unten & 51).
Die wichtigste Ausnahme macht der §* 15 der Verfassung über die Zulässigkeit des
Rechtswegs in Verwaltungssachen; er enthält einen unmittelbar bindenden und
praktisch hochbedeutsamen Rechtssatz 2). (Näheres unten §& 53 I1 Z. I.)
Jene Grundsätze bedürfen zudem in ihrer allgemeinen Fassung meist der näheren
Ausgestaltung durch das Gesetz (z. B. § 7: „Verhaftungen sind nur in den gesetzlich
bestimmten Fällen und Formen zulässig"). Endlich sind sie zum großen Teil dadurch
gegenstandslos geworden, daß die Reichsgesetzgebung sich der Materien bemäch-
tigt hat.
Wegen ihrer Stellung in der Brem. Verf. und der ihnen häufig noch beigemessenen
Bedeutung sollen die Bestimmungen hier kurz im Zusammenhang berührt werden:
1. Die nach ihren verschiedenen Richtungen gewährleistete Freiheit der Person
(Brem. Verf. § 5—9) wird jetzt durch die Bestimmungen der Reichsgesetze über Ver-
haftungen im Straf= und Zivilprozeß, über die Freizügigkeit und das Verbot der
Sklaverei geschützt. Ueber die dem Landesrecht verbliebene polizeiliche Verhaftung
und den armenpolizeilichen Arbeitszwang unten §& 54 IV.
1) Ueber ihre Geschichte: Jellinek, Die Erklärung der Menschen= und Bürgerrechte;
2. Aufl. 1904. Ueber ihre Bedeutung: Ders., Staatslehre, S. 397 f. und System der subjektiven
öffentl. Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 94 f. Nach ihm sind sie „Nuancen der einen Freiheit vom ge-
setzwidrigen Zwang“. Sie sind subjektive Rechte, da sie einen Anspruch auf Anerkennung erzeugen.
Hierin and. A. Laband StR., I, S. 151.
2) Vorübergehend galten in Lübeck die „Grundrechte des deutschen Volkes“ v. 1849; sie
wurden vom Senat publiziert und 1851 von ihm ausdrücklich aufgehoben (LV. 1851, S. 64).
— Die Hamburger Verf. enthält von Grundrechten nur in Art. 5 die Anerkennung der Glaubens-
und Gewissensfreiheit.
3) Diesen Unterschied in der Bedeutung des # 15 und der andern Bestimmungen dieses Ab-
schnittes der Brem. Verf. betonen auch Hans. OL. in HGZ. 1909, Nr. 161, und RG. dess. 1912,
Nr. 4, sowie bei Warn, Rspr. Str Pr. 1911, Nr. 307.